Predigt+ am Sonntag Exaudi

Ich habe ein Gedicht für Sie. Es ist für mich wie ein moderner Psalm oder eine Gottesrede, die nicht in der Bibel steht:

Trost – von Manfred Hausmann

Ich möchte eine alte Kirche sein
voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.
Du senkst den Kopf, die große Tür fällt zu.
Nun sind wir ganz alleine, ich und du.
Ich kühle dein Gesicht mit leisem Hauch,
ich hülle dich in meinem Frieden auch,
ich fange mit der Orgel an zu singen…
Nicht weinen, nicht die Hände heimlich ringen!
Hier hinten, wo die beiden Kerzen sind,
komm, setz dich hin, du liebes Menschenkind!
Ob Glück, ob Unglück alles trägt sich schwer.
Du bist geborgen hier, was willst du mehr?
In den Gewölben summt’s, die Kerzenflammen
wehn flackernd auseinander, wehn zusammen.
Vom Orgelfuß die Engel sehn dir zu
und lullen dich mit Flötenspiel zur Ruh.
Ich möchte eine alte Kirche sein
voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.

In der Kirche habe ich nach diesem Gedicht zu einer Traumreise eingeladen. Vielleicht kann Ihnen jemand diese Traumreise vorlesen oder Sie lassen sich beim Lesen ein wenig Zeit, die Bilder bei sich wirken zu lassen:

Ich stehe vor einer Kirchentür. Stünden beide Flügeltüren auf, könnte ein Elefant bequem hindurchgehen. Die Tür ist aus Holz. Darüber ranken die Metallbeschläge wie Efeu. Ich drücke die schwere Tür mit beiden Händen auf. Dahinter ist die Luft kühl und ein bisschen schwer. Ich atme sie tief ein uns aus und laufe zwischen den Bänken hindurch. Die Tür fällt zu. Nun sind wir ganz allein, ich und du. Mein Blick ist auf den Altar gerichtet. Direkt vor mir. Mit jedem Schritt komme ich näher. Der Boden ist aus Stein. Wie viele Füße hier wohl schon gelaufen sind?  Füße, die es eilig hatten mit langen Schritten. Füße, die nur kleine Schritte gewagt haben. Zögerlich. Vielleicht ängstlich. Füße, die immer wieder stehen geblieben sind, um sich umzuschauen. Hoch zur Decke, die in einem tiefen dunklen Blau über mir hängt. In diesem Blau liegen stolze goldene Sterne. Sie haben voller Ehre ihren Platz eingenommen. Über dem Altar hellt das Blau auf. Die Sonne verdrängt die Dunkelheit. Die hellen goldenen Farbstriche drücken die kalte Luft weg. Eine Sonne für meine Seele.

Ich suche mir eine Bank und bleibe kurz darin stehen. Die bunten Kirchenfenster malen Mosaike an die dicken Wände. Die kalten Mauern wachen auf und werden lebendig. Auf ihnen tanzen die Farben.
Ganz in der Nähe meiner Bank brennt ein Kerzenmeer. Einige Kerzen stehen auf dem Boden. Der Rest dicht gedrängt auf einer  Metalltreppe, übersäht mich Flecken aus Wachs. Ich setze mich auf die Kirchbank und schaue einer Kerze zu. Die Flamme steht ganz ruhig. Mir geht durch den Kopf, was in den letzten Wochen war… Mir geht durch den Kopf, was nächste Woche auf mich wartet…

Jeder einzelne Gedanke bekommt Zeit und dann lasse ich ihn los. Hier in der Kirchenbank werde ich ruhig. Über mir das Himmelszelt. An den Wänden die tanzenden Farben. Und dann die ruhigen Kerzen. Jede einzelne ist ein stummes Gebet. Da, wo kein Worte das richtige ist, brennt ein Licht. Gott bietet mir Schutz unterm Dach seines Zeltes, er hebt mich hoch auf einen sicheren Felsen. Die dicken Mauern schirmen mich ab. Die Kirchentür ließ mich rein, aber meine Unruhe blieb draußen. Ich höre sie rufen. Sie schreit, dass ich nicht weglaufen kann. Die Unruhe trägt meinen Namen. Sie gehört zu mir. Ich kann sie nur für kurz da draußen lassen. Aber solange ist sie da draußen und ich hier drinnen.
Solange bin ich bei Gott. Hier ist er mir näher als sonst. Hier ist jedes Gebet, als säße er neben mir. Hier bleiben meine Worte nicht in der Luft. Ich kann sie Gott zusprechen.

Ich habe eine einzige Bitte an Gott! Nichts anderes wünsche ich mir:
Ich möchte in seinem Haus sein an jedem Tage meines Lebens.
Ich möchte spüren, wie mich seine Ruhe umhüllt. Denn er bewahrt mich in seiner Hütte am Tag, an dem mir Unheil droht.
Und Gott flüstert mir zu: Ich möchte eine alte Kirche sein
voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein. Wenn du dann diese trüben Stunden hast, gehst du herein zu mir mit deiner Last.

 

[Predigt]

Dicke Mauern, kalte Luft, bunte Fenster, Kerzen. Eine Kirche. Ein Gotteshaus. Ein Haus für Gott. Jeder Stein und jeder Holzbalken hat zu seiner Ehre hier einen Platz. Der Kirchturm ragt hoch empor. Hoch in den Himmel; zu Gott. Was mir sonst so schwer fällt, gelingt hier. Hier bin ich Gott nah. Wenn ich einen Schritt in die Kirche mache, legt es sich wie ein Mantel um meine Schultern. Ein warmes Gefühl, das von Ruhe getragen wird. Eine Kirche lässt für mich nichts anders zu. Alles trägt hier den Namen Gottes. Jeder Glockenschlag und jede ausgetretene Stufe zum Altar. Was mir sonst so schwer fällt, gelingt hier. Wenn ich kalte Kirchenluft einatme, werde ich ein Gotteskind. Die Ostfriesin von der Küste, die Freizeitbäckerin und was ich sonst so bin, warten solange vor dem Portal.

Hier bin ich Gott nah. So fühlt es sich an. Dabei will ich Gott gar nicht so klein machen. Ich will Gott nicht in diese schönen Gemäuer quetschen. Als wäre er nur da und nicht bei der Dame am Krankenbett. Als wäre er nicht bei der Familie im Flüchtlingslager. Gerade da soll er sein. Dort wird Gott gerufen. Ohne Kerze und kalte Kirchenluft.

Glockenschläge sind der kalten Luft zwischen den dicken Mauern ähnlich. Sie fangen mich ein. Ob in der Stadt zwischen hektischen Menschen mit Einkaufstaschen in der Hand oder an meinem Küchentisch. Wenn der Kirchturm schlägt, kommt das Haus Gottes zu mir. Der Ort, an dem ich Gotteskind bin. Dann ist es nicht die kalte Luft auf meinem Gesicht, sondern der Klang in meinem Ohr. Der Glockenschlag macht mir das warme Gefühl. Das Gefühl, dass mich innerlich lächeln lässt. Wenn der letzte Schlag erklingt, halte ich inne. War es schon der letzte?

Glockenschlag und Kirchenluft sind wie ein Wort Gottes, das mich trifft. Gottes Wort, das am Anfang  die Erde erschuf. Sein Wort sprach die Sterne und den Mond an den Nachthimmel. Und Gott versprach sich selbst den Menschen. Der Mensch ist Gottes Geschöpf und er der Schöpfer. Immer wieder hat Gott das betont. Er hat einen Bund geschlossen. Immer wieder hat Gott den Menschen erinnert, dass er diesen Bund will – diese Beziehung zu den Menschen. Gott möchte unser Gott sein. Unser Vater. Unsere Mutter. Unser Anwalt. Unsere Rettungsring bei hohem Wellengang. Unsere Freundin, mit der wir Pferde stehlen können. 

Auch der Predigttext von heute erzählt eine der Geschichte, in der Gott diesen Bund betont.

Jeremia 31, 31-34
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.

Gott spricht hier zu seinem erwählten Volk Israel. Das Gesetz, das bisher auf Steintafeln stand, will Gott dem Volk jetzt in ihr Herz schreiben. Was erstmal martialisch klingt, ist die Liebeserklärung schlechthin. Wie eine Mutter, die ihrem neugeborenen Kind den ersten Kuss auf die Stirn gibt. Da braucht es nicht viel mehr. Dieser Kuss sagt alles. So auch das Gesetz, das nun in die Herzen geschrieben wird.

Ich will es versuchen zu erklären:
Das Gesetz ist dem Volk gegeben, um mit Gott in einem guten Verhältnis stehen zu können. Ein fairer Deal. So wie ich mit meinem Bruder die Verabredung habe, dass wir uns nicht anlügen und ich zu ihm komme, wenn es mir schlecht geht, hat das Volk mit Gott auch Verabredungen. Und solange diese Verabredungen eingehalten werden, ist alles im grünen Bereich. Diese Gesetze regeln das Verhältnis von Gott und seinem Volk.

Wie ihr vielleicht schon merkt, wirkt so eine Gesetzestafel nicht besonders freundlich. Wie das Fräulein Rottenmeier, die in ihrem Herzen auch nur das Beste will, steht das Gesetz da und verbreitet ein Gefühl, das mich bedrängt. Auch wenn ich weiß, dass Gesetze dafür sorgen, dass ich ein gutes Leben leben kann, machen sie keinen besonders freundlichen Eindruck. Trotzdem beruhigt es mich, dass es sie gibt. Denn Gesetze gelten für alle gleichermaßen. Sie beschränken nicht meinen Freiraum, sondern machen eine Gemeinschaft möglich. Für alle gilt das Gleiche und wer sich nicht daran hält, hat in der Gemeinschaft einen schweren Stand.

Das Volk hatte bisher also diese Steintafeln, die die Spielregeln für die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk aufzeigten. Wer sich nicht mehr ganz sicher war, wie das mit der Beziehung zu Gott funktioniert, konnte dort einfach nachlesen.
Das soll sich nun ändern. Das Gesetz soll nun in die Herzen geschrieben werden. In das Innerste des Menschen. Wie diese Beziehung zwischen Gott und Mensch funktioniert, soll dem Volk in Fleisch und Blut übergehen. Die Steintafeln sollen überflüssig werden. Wie selbstverständlich sollen Gott und Volk miteinander reden und Gottesdienst feiern. Es braucht die Steintafeln nicht mehr. Das Volk hat eine Beziehung zu Gott. Sie sind Gottes Kinder. Das dürfen sie jetzt vom Herzen fühlen. Ohne Steintafeln. Wie ein Kuss einer Mutter, die ihr Neugeborenes zum ersten mal in den Armen hält. Dieser Kuss sagt alles. Mehr braucht es nicht.

Ich sitze wieder in meiner Kirchenbank. Eine der vielen Kerzen ist gerade erloschen. Das stille Gebet ist ausgesprochen. Das Amen steigt als Rauch empor. Die Kirchenfenster werfen das bunte Mosaik auf den Weg zur Kanzel. Ich atme die kalte Luft tief ein und aus.
Als ich wieder vor der Kirchentür stehe, läuten die Glocken. Es ist schon spät. Der letzte Schlag verklingen. Ich sammle die Ostfriesin, Freizeitbäckerin und was ich sonst noch so bin ein. Und ich bleibe Kind Gottes. Gottes Wort ist auch hier. In der warmen Abendsonne. Das Wort Gottes ist da, wo ich bin. Mir ist es zugesprochen. Ich bin ein Kind Gottes.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Der Segen Gottes sei mit Ihnen!

Ihre Vikarin Heike Sieberns