Gedanken zum Tag
Es gibt Wörter, die niemand mehr sagt. Und es gibt sogar ein Wörterbuch für alle diese bedrohten oder verschwundenen Wörter. Manche überleben noch in der Dichtung und Poesie. Wortschätze: Sommerfrische, Augenstern, Gänsewein, Ratzefummel, hanebüchen, blümerant, Backfisch, Dreikäsehoch, hold, Kleinod, Labsal, Herzblatt, Käseigel, Schlüpfer, Lichtspielhaus und und und. Es gibt Wörter, die niemand mehr sagt, weil die Zeiten und die Menschen sich verändern. Sprache ist lebendig, ist Zeitgeist, ist Merkmal einer bestimmten Generation oder Herkunft.
Es gibt Wörter, die tauchen plötzlich auf, sind in aller Munde und sind dann wieder verschwunden. Systemrelevant. Ich weiß noch nicht, ob ich es für ein Unwort halte. Systemrelevant. Auf einmal merkt eine Gesellschaft, was sie schon lange weiß, welche wichtige Arbeit die Frauen und Männer in bestimmten Berufen tun: die Pflegenden in den Krankenhäusern und Altenheimen, in der ambulanten Pflege. Die Erziehenden in den Kindergärten und Schulen. Die an den Kassen in den Supermärkten sitzen. Die Menschen, auf deren Schultern unsere Gesellschaft ruht. Auf einmal werden sie gesehen. Auf einmal wird gesehen, wie unterbezahlt ihre Arbeit doch ist. Ja, weiß man schon lange, aber es ging bisher ja auch so. Frauenberufe eben, kann ja jeder. Kann nicht jeder! Systemrelevant. Sie alle sind systemrelevant und daher besonders zu schätzen. Ich weiß nicht, wie es diesen Menschen damit geht: systemrelevant, aber wird sich das auf Zukunft auch auf höhere Löhne und Gehälter auswirken? Oder reichen bessere Krisenpläne für die Zukunft aus? Wer soll das bezahlen, man rudert schon vorsichtig wieder zurück? Systemrelevant. Ich empfinde es eher als eine Beleidigung. Denn diese menschlich notwendige Arbeit – Po abwischen, Nase putzen, Hand halten – hat nichts, womit sie groß „rauskommen“ könnte. Wenn es etwas gibt, das systemrelevant ist, dann ist es die Bereitschaft, sich auf Menschen einzulassen, an denen man nicht verdienen kann. Ich halte nicht zuerst eine Gesellschaft am Laufen, sondern es sind einzelne Menschen die mich brauchen, meine Unterstützung, meine Nachbarschaft, meine menschliche Nähe. Das Herz eines Menschen zu gewinnen, ist was anderes als Gewinne zu machen.
Pastorin Susanne Ackermann
St. Johannis Dannenberg
Donnerstag 30. April 2020