Ein Abend voller Erinnerungen
Ein Kleines Licht von Heike Sieberns, Vikarin in Damatz, Langendorf und Quickborn.
Lea sitzt mit ihren Eltern und ihrer Oma beim Frühstück. Es ist Pessach. Ein wichtiges Fest für Menschen mit jüdischem Glauben. Und heute ist der Sederabend. Damit beginnen die Feiertage.
„Kümmer’ dich bitte gleich um dein Zimmer Lea. Wenn du fertig bist, kannst du Oma im Wohnzimmer helfe.“
Bevor das Fest am Abend beginnen kann, wird das Haus geputzt. Das gehört zu den Vorbereitungen für’s Fest. Wenn alle Zimmer blitzeblank sind, gibt es einen Gang mit einer Kerze in alle Zimmer und Ecken des Hauses. Um zu gucken, ob auch wirklich alles sauber ist.
Lea wird also gleich erst mal den kleinen Tellerstapel aus ihrem Zimmer in die Küche bringen und die Pfandflaschen neben ihrem Bett in den Abstellraum stellen. Wenn sie langsam genug ist, wird Oma im Wohnzimmer auch schon fertig sein. Also: Bloß nichts überstürzen, lautet heute Leas Devise.
Leas Mutter bereitet solange den traditionellen Lammbraten vor. Zu dem Fleisch wird es bittere Kräuter, ungesäuertes Brot, Kartoffeln, Sellerie, Ei, einen festen Brei aus Äpfel und Feigen, Salzwasser und Wein geben. Allerdings nicht, weil die einzelnen Sachen geschmacklich besonders gut zueinander passen. Alles hat eine besondere Bedeutung. Denn heute Abend erinnern sich Jüdinnen und Juden daran, dass Gott das jüdische Volk aus der Sklaverei in Ägypten errettet hat. Die bitteren Kräuter erinnern an die unerbittliche Knechtschaft. Solange die Sonne schien, musste gearbeitet werden. Sonst knallte die Peitsche. Die Kartoffeln und der Sellerie erinnern als Früchte der Erde an die anstrengende Arbeit. Das Salzwasser steht für die vielen Tränen. Und das ungesäuerte Brot symbolisiert die plötzliche Flucht, auf die das Volk nicht vorbereitet war. Es war keine Zeit, um Brotteig durchsäuern zu lassen.
Solche Tabletts werden auf den Konfirmandenfreizeit in Mansfeld von der Konfis aus DaLaQui, Lüchow und Plate gestaltet. Im Abschiedsgottesdienst der Freizeit werden so verschiedene Aspekte des Abendmahls und seiner Wurzeln dargestellt. Dieses Tablett soll in einiger Freiheit an das Sedar-Mahl erinnern: Sie sehen Traubensaft und Wein, Salzwasser, Fladenbrot, einen Hackbraten, der wie ein Lamm aussehen soll, Quark mit bitteren Kräutern, Krautsalat und Fruchtmus mit Zimt. Foto: Mansfeld-Team
Als es zu dämmern beginnt, kommt Lea ins Esszimmer. Der Tisch ist mit dem guten Geschirr gedeckt. Endlich geht es los. Auch wenn Lea mit 14 Jahren kein richtiges Kind mehr ist, hat sie als einziges Kinder der Familie heute eine besondere Aufgabe. Wie schon in den letzten Jahren, wird sie ihrem Vater vier Fragen stellen. Warum es heute Gemüse gibt, das in Salzwasser getaucht wird? Warum es nur ungesäuertes Brot gibt? Weshalb die bitteren Kräuter gegessen werden und warum sie wie an einem Königshof essen und trinken?
Wie jedes Jahr erklärt der Vater für die ganze Familie, warum all diese Speisen auf dem Tisch stehen und was sie bedeuten. Und während er das erklärt, erinnert der Vater an ihre Vorfahren, die vor sehr langer Zeit gelebt haben. Juden und Jüdinnen, die über viele Generationen in Ägypten schuften mussten. Für die Reichen und Schönen waren sie in den Steinbrüchen. Selbst dann, wenn sie die Hacke nicht mehr halten konnten.
Aber dann passierte das, was niemand zu glauben gewagt hatte. Als sei es das Einfachste der Welt, flohen die Juden und Jüdinnen. Sie vertrauten Gott. Gott versprach, bei ihnen zu bleiben. Was auch kommen möge und wie schwer die Flucht werden würde. Gott würde sie beschützen. Und es geschah so.
Diese Geschichte kennt Lea, seit sie klein ist. Und obwohl sie wie ein Disney-Film klingt, ist sie für Lea viel bedeutender. Ihr Vater erzählt die Geschichte so, als wären sie selbst von Gott aus Ägypten herausgeführt worden. Als hätten Lea, ihre Mutter, Großmutter und ihr Vater selbst auf Gott vertraut und seien von ihm gerettet worden. Denn schon ihre Eltern haben als Kinder diese vier Fragen gestellt und von ihren Eltern die Geschichte erzählt bekommen. Auch so, als wäre sie selbst befreit worden.
Der Sederabend steckt voller Erinnerungen. Es sind Erinnerungen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Erinnerungen, die so viel Vertrauen in sich tragen und bei jedem Erzählen tief ins Herz gehen.
Auch beim letzten Abendmahl Jesu wird diese Geschichte erzählt worden sein. Im Kreis der Zwölf Jünger hat Jesus diesen besonderen Abend verbracht. Sie haben die Geschichte vom Auszug aus Ägypten nicht bloß gehört, sondern sich hineingefühlt. Sie haben die bitteren Kräuter zerkaut, das ungesäuerte Brot geteilt und Wein getrunken, als Zeichen der Freiheit. Sie haben das Vertrauen in Gott gespürt und die Zusage verinnerlicht, dass Gott sie beschützt.
Jesus weiß, dass es sein letzter Abend und die letzte Gelegenheit für Abschied ist. Als es um den Tisch herum still wird, nimmt er das Brot und spricht, dass dies sein Leib sei. Wenn sie künftig zusammen das Brot teilen, sollen sie an Jesus denken. An seine Worte und an das, was er getan hat. Das Brot soll ihnen zu einem Knoten im Taschentuch werden. Sie sollen sich an diesen Abend erinnern und an alles, was sie miteinander erlebt haben. Gemeinsam sie sind mit ihm durchs Land gewandert. Wie es heute Manager von Stars tun, haben sie für Jesus in den Orten eine Bühne und eine Unterkunft gesucht. Sie haben ihn vor Übergriffen geschützt. Und das alles, weil sie von seiner Botschaft überzeugt waren. Diese Botschaft sollte in die Welt.
Bis heute erinnern wir uns, besonders am heutigen Gründonnerstag, beim Abendmahl an diesen Abend. Die Jünger haben das Brot mit den Menschen geteilt und von Jesus erzählt. In Brot und Wein ist Jesus Christus den Menschen nah. Als würden wir selbst mit ihm zu Tisch sitzen.
Darin verbirgt sich sein Zuspruch und der Zuspruch Gottes: „Dich beschütze ich. Dich lasse ich nicht allein, egal was passiert. Selbst dann, wenn die Welt wenig Platz für Hoffnung lässt.“
Dieses Jahr können wir nicht zusammenkommen. Aber wir können in den eigenen vier Wänden nach Erinnerungen suchen. Erinnerungen an Momente, in denen uns das Glück und Gott ganz nah waren. Vielleicht sogar ein Moment aus den letzten Wochen. Zum Beispiel ein längst überfälliger Anruf, für den jetzt endlich Zeit war. Vielleicht war auch da zwischen den Zeilen zu hören „Dich beschütze ich. Dich lasse ich nicht allein, egal was passiert. Selbst dann, wen die Welt wenig Platz für Hoffnung lässt.“
Das dreiundzwanzigste kleine Licht.
Bleiben Sie behütet!
Ihre Vikarin Heike Sieberns.
Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.
„Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.
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