von Heike Sieberns; Vikarin und Damnatz, Langendorf und Quickborn
SonnenAufgang
Der Tag kommt an sein Ende und die Sommerluft hängt zwischen den Häusern. Wenn Clara die Cafés und Bars zu voll sind oder die Stadt zu weit weg. Dann führt die kleine steile Holztreppe zum schönsten Platz in ihrer kleinen Wohnung. Zu Claras Heiligtum. Ihrer Dachterrasse.
Clara nimmt eine Zitronenlimo aus der Kühlschranktür und geht zur Tür, hinter der die alte Holztreppe liegt. An der Tür klebt ein kleiner blauer Zettel. Darauf steht ein Wort: SonnenAufgang. Clara geht die Treppe rauf und und steht über den Dächern. Von dort hört sie den Trubel der Straße. Menschen, wie sie die Straße hinuntereilen. Autos, die eine Parklücke suchen. Und wenn der Wind aus Westen kommt, sind die Durchsagen vom Bahnhof zu hören. Von dieser Dachterrasse geht der Blick über alle anderen Dächer der Nachbarschaft. Die Sonne scheint von allen Seiten rein.
Aus alten Europaletten hat sie sich ein OpenAir-Sofa gebaut. In sehr warmen Nächten ist es zu ihrem zweiten Bett geworden. Heute möchte sie hier nur den Abend genießen.
Mit der Limoflasche in der Hand, hockt sie sich auf ihr Freiluftsofa, zieht die Knie unter ihr Kinn, prostet sich leise zu und nimmt den ersten Schluck. Die Dachterrasse ist nicht groß. Aber groß genug für ne Runde Sekt mit den Mädels. An manchen Abenden hat sie sogar die Größe einer Tanzfläche. Wenn Clara morgens Zeit hat, stellte sie ihr kleines Tablett mit Marmeladen, Honig und Käse voll und macht es sich mit einer Tasse Milchkaffee in der Morgensonne gemütlich.
Ihre Oma Lissi hat immer gesagt, dass jeder Mensch einen Hort braucht. Einen Ort, wo alles sein darf: Grübelnde Gedanken, bittere Tränen, herzliches Lachen, stundenlange Gespräche, vertraute Stille, durchtanzte Nächte.
Lange hat Clara versucht ihrer Oma zu erklären, dass ihr Orte nicht so wichtig sind. Viel wichtiger sind ihr Menschen. Ihr große Schwester Henrike und ihre Sandkastenfreundin Pauline. Bei den beiden muss sich Clara nicht verstellen. Sie kennen die Clara, die im Auto jeden Song mitsingt, auch wenn sie den Text nicht kennt. Und sie kenne die Clara, die beim Campen nachts nicht allein zum Klohäuschen läuft.
Damals hat Clara noch Zuhause gewohnt. Ihre Schwester hat eine Tür weiter geschlafen und zu Pauline musste sie nur die Straße runter.
Inzwischen ist Clara seit einigen Jahren ausgezogen. Seit fünf Monaten wohnt sie nun schon in der Dachgeschosswohnung. Am Rande von Paris. Die Auslandssemester sind ein Herzenswunsch gewesen.
Seit Clara die Dachterrasse zurecht gemacht hat, denkt Clara immer wieder daran, was ihre Oma zum der Hort gesagt hat. Ein Hort kann nicht gesucht, sondern nur gefunden werden. Diese Dachterrasse ist für Clara ein Rückzugsort. Genauso ist sie aber die Empfangshalle für Freundinnen und Freunde, wo sie Leute gerne willkommen heißt. Der Ort wechselt seine Eigenschaften mit Claras Tagesform. Es wird zu dem Ort, den Clara gerade braucht.
Für ihre Oma war das kleines Haus oben auf der Waldlichtung so ein Hort. Sie mochte, wie das Licht am Morgen durch die Blätter schien. Als Clara klein war, sind sie oft dort gewesen. Dort haben sie ihren achten Geburtstag mit der ganzen Familie gefeiert.
Dort hatte Clara aber auch ihre geliebten Oma-Wochenenden. Dann hatte sie ihre Oma nur für sich.
Das Haus war rot gestrichen und hatte eine kleine Veranda. Unter dem Türklopfer war ein kleines Schild angebracht. Es war aber kein Namensschild, wie an einem Briefkaste. Darauf stand der Name des Hauses. SonnenAufgang. Der Name für Oma Lissis Hort.
Und jetzt auch für Claras.
Das neunundsiebzigste kleine Licht.
Bleiben Sie behütet.
Ihre Vikarin Heike Sieberns
Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend, außer am Wochenende von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.
„Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.
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