von Heike Sieberns, Vikarin in Damnatz, Langendorf und Quickborn
Guten Abend, gut’ Nacht
Vor gut 150 Jahren wird eine Frau zum zweiten Mal Mutter. Ein kleiner Mensch ist ganz neu auf dieser Welt. Zur Familie gehört nun ein weiteres Gesicht; noch etwas zerknautscht. Mund und Nase im Kleinformat und die Augen schauen eindringlich in die der Mutter. Dieser kleine Mensch kann noch nicht viel. Aber was er kann, kann er so gut, wie niemand anderes. Dieser kleine Mensch bringt den Eltern ein Lächeln, dass sie vorher nicht kannten. Ein Lächeln, das nicht allein auf den Lippen liegt. Das Lächeln reicht tief ins Herz hinein. Ein Lächeln, das ansteckend ist.
Vor gut 150 Jahren wird eine Frau zum zweiten Mal Mutter. Und sie erhält einen Brief von einem Freund. Darin steht ein Lied geschrieben, dessen Melodie uns so vertraut ist, wie das wohlig warme Gefühl, wenn wir uns ins Bett kuscheln:
„Guten Abend, gut’ Nacht,“
Es beginnt zu dämmern. Die Bäume schlagen lange Schatten auf die Felder. Allmählich wird es ruhig auf den Straßen. Noch ein kleines Stück und dann wird die Sonne versunken sein. Ein Tag geht zu Ende. Die Menschen lassen bis morgen ruhen, was noch Zeit braucht.
„mit Rosen bedacht,“
Ein Bett mit einem Baldachin. An jedem Pfosten ranken Rosen entlang. Es ist wie im Märchen von Dornröschen. Die Blüten schmücken das Bett mit ihren zarten Blättern und die Dornen lassen Bösewichte nicht zu nah kommen. Die Rosen sind schön und Schutz zugleich.
„mit Näglein besteckt,“
die Näglein sind Nelken, die einem Nagel sehr ähnlich sehen. Es ist das Gewürz, das zu Weihnachten an jeder Ecke duftet. Es ist das Gewürz, das in den Rotkohl gehört. Im Mittelalter galten Nelken als Heilmittel. Bei Zahnschmerzen wurde eine Nelke an den schmerzenden Zahn gelegt. In Zeiten der Pest wollten sich die Menschen mit dem Gewürz schützen. Außerdem vertreiben Gewürznelken Ungeziefer und ungebetene Insekten. So sind die Nelken-Näglein ein Wunsch für Gesundheit.
„schlupf unter die Deck’:“
Das Federbett ist aufgeschüttelt. Darunter eine Wärmflasche, damit mein müder Körper es kuschlig hat. Wohlig warm soll es sein in meinem Bett. Mit einer Decke, die mich umarmt und mich erst wieder gehen lässt, wenn die Vögel ihre Morgenlieder anstimmen.
„Morgen früh, wenn Gott will,
wirst du wieder geweckt.“
Uns ist nicht alles in die Hand gegeben. Einiges passiert uns, obwohl wir es nicht wollten. An einige Tagen spüre ich das sehr deutlich. Besonders in der letzten Zeit. Da stehe ich hilflos daneben und kann nicht viel mehr tun, als zu warten.
Uns liegt nicht alles in der Hand, auch wenn es manchmal so scheint.
Das Wiegenlied kommt aus einer anderen Zeit, als Kinder häufig verstarben. Viele wurden nicht besonders alt. Es war ein Segen, wenn jemand ein hohes Alter erreichte. Für Menschen war der Tod damals alltäglich. Er gehörte zum Leben dazu. Die Kinder wurden krank und waren zu schwach, um wieder gesund zu werden. Medizin, wie wir sie kennen, gab es noch nicht. Die Menschen lebten damit, dass das Leben für einige früh zu Ende war. Sie hatten ein Bewusstsein dafür, dass es von einem Tag auf den anderen vorbei sein kann. Und die Menschen haben einen Umgang damit gefunden.
Uns liegt nicht alles in der Hand. Auch wenn ich das manchmal möchte, damit ich keine bösen Überraschungen erleben muss. Wenn ich dieses Wiegenlied höre, klingt es für mich friedlich und liebevoll. In den ersten Zeilen wird besungen, dass etwas getan wurde. Das, was möglich war, ist geschehen. Die Rosendornen und Nelken schützen das Kind in der Wiege, wenn die Eltern selbst schlafen gegangen sind. Die Rosen und Nelken halten mit Gott Nachtwache, bis die Eltern am Morgen wieder da sind.
Dieses Lied hat eine Mutter zur Geburt ihres Kindes geschenkt bekommen.
Vielleicht wird an einer Wiege besonders deutlich, dass wir Menschen Vertrauen brauchen, um ruhig in die Nacht und den Tag gehen zu können. Wir tun, was wir können, um das Beste draus zu machen. Mehr geht nicht. Wir tun, was wir können, um unseren Beitrag zu leisten. Danach braucht es Vertrauen. Ein Vertrauen darauf, dass Gott die Sache gut werden lässt. Das ist nicht einfach. Und deshalb siegt die Mutter das Lied jeden Abend. Für ihr Kind und auch für sich. Jeden Abend tut sie es wieder und ruft sich damit in Erinnerung: „Ich habe nicht alles in der Hand. Aber ich habe alles getan, was meine Hände konnte.“
„Guten Abend, gut’ Nacht,
mit Rosen bedacht,
mit Näglein besteckt,
schlupf unter die Deck’:
Morgen früh, wenn Gott will,
wirst du wieder geweckt.“
Das vierzigste kleine Licht.
Alles Gute für Sie.
Ihre Vikarin Heike Sieberns
Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.
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