Ein kleines Licht am 25. April

Sonne

Vor 15, 16 Jahren drückte mir meine Schwägerin Karen eine CD in die Hand und sagte: „Hier, die sind so was wie die neuen Ideal“. Es war die CD „Stille Post“ von der Berliner Band MIA. und ihrer Sängerin Mietze.

Nun war der Stil von MIA. auf dieser CD schon wieder von Ideal abgerückt und ich finde, dass Ideal mit der göttlichen Annette Humpe sowieso unvergleichlich ist.

Aber nichtsdestotrotz ist die CD klasse und die zwei nächsten CDs waren es auch. Seitdem ist das, was MIA. so abliefert, für meinen Geschmack eher durchwachsen. Aber das darf jeder so sehen wie er will.

Auf „Stille Post“ hatte MIA. seinen ersten richtigen Hit, „Was es ist“, der auch zur Titelmelodie der ZDF-Dokumentationsreihe 37 Grad wurde. Noch besser und inhaltlich interessanter finde ich jedoch das Stück „Sonne“, das ihr euch jetzt hier angucken müsst.

Rock- und Pop-Musik ist ja eigentlich so ein Feld, wo sich die Jugend und die Lebensfreude selber feiern. Auch das ist ein fröhliches, ein Feier-Lied. Aber eins, das Tiefgang hat.

In dem Song geht es um das Leben junger Menschen, um die Lebensfreude und die Freude an der Jugend.

Aber das Lied blickt nach vorne. Der Text ist aufgegliedert nach den Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Zeit spielt also eine Rolle.

Die vier Jahreszeiten können für zwei unterschiedliche Sichtweisen der Zeit stehen.

Einerseits bilden Frühling, Sommer, Herbst und Winter einen Kreislauf, der sich immer wiederholt. Auf den Winter folgt ein neuer Frühling und dann geht alles wieder von vorne los.

Oder aber ich teile das Leben in vier Abschnitte ein, in dem jede Jahreszeit eine eigene Aufgabe oder Herausforderung hat: Dann ist der Frühling die Zeit der Geburt, der Kindheit und des Aufwachsens. Der Sommer die Phase des Erwachsenenalters, in dem ich voll in Saft und Kraft stehe. Der Herbst ist die Phase, in der mein Leben gesetzter wird. Ich ernte jetzt, was ich in früheren Jahren in die Wege geleitet habe. Und der Winter schließlich ist die Zeit des Alters, die mit dem Tod abschließt. In dieser Sichtweise folgt auf den Winter nicht automatisch ein neuer Frühling, sondern der Winter ist das Ende.

MIA. nutzt die Vorstellung von den Jahreszeiten in diesem Lied auf die zweite Weise: Es geht ums Älterwerden, um das Herauswachsen aus der Jugend. Das ist erstaunlich, denn die Sängerin und Texterin der Band ist beim Erscheinen dieser CD gerade mal 25 Jahre alt. Eigentlich noch ein bisschen früh, um sich über das Älterwerden Gedanken zu machen. Aber vielleicht ja auch gerade nicht.

Ganz ohne ist das Thema jedenfalls auch für junge Menschen nicht: Älter zu werden, beziehungsweise das zu erkennen und anzunehmen, ist ein Tabu. Wer möchte mit 25 Jahren schon daran denken, dass er bald 30 wird. Und danach 40 und danach 50… Kann es nicht einfach alles so bleiben, wie es gerade ist? Kann ich nicht so jung bleiben, wie ich es gerne habe?

Im Liedtext wird die Jugend direkt angesprochen: „Süßer Vogel Jugend“. Diese Wendung ist der deutsche Titel eines berühmten Theaterstücks von Tennessee Williams. Diese Bezeichnung „Süßer Vogel Jugend“ ist ziemlich zwiespältig zu verstehen:

Zum einen empfinden die meisten von uns die Jugend als eine sehr schöne Lebensphase. Vor allem wenn wir älter sind, trauern wir der Jugend manchmal hinterher. In dem gleichnamigen Theaterstück aber wird es der Hauptperson sogar zum Verhängnis, dass er noch mal in seine Heimatstadt zurückkehrt, um seine Jugendliebe zurückzugewinnen.

Auf jeden Fall ist dieser Vogel flatterhaft und nichts, was mich mein Leben lang begleiten oder tragen kann.

Und genau das spricht MIA. aus: Die Jugend ist schön, aber sie hat ihre Zeit und irgendwann muss man weiterziehen. Ob das mit 25 Jahren schon so weit ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall kann man es wohl kommen sehen.

Nun könnte mich das als junger Mensch gewaltig traurig machen: Das ausgelassene Leben mit 18, 19, 20 Jahren wird irgendwann vorbei sein. Also nicht dran denken, nicht darüber sprechen, es bloß nicht wahrhaben wollen. Ich erkläre das Älterwerden zum Tabu.

Wahrscheinlich kennt jeder irgendwen, der genau das macht. Der krampfhaft an seiner Jugend festhalten will. Der nicht annimmt, was gerade dran ist für ihn oder was ihm das Leben jetzt gerade bietet. Das bedeutet ja nicht, dass man mit 30 in keinen Club mehr gehen darf oder mit 50 auf kein Konzert. Ich meine, die Rolling Stones machen ihre Sache immer noch großartig und sind steinalt. Heute muss sich keiner ab einem gewissen Alter schwarze oder gar beige Sachen anziehen. Außer ich möchte das gerne tun.

Aber ich sollte doch wenigstens annehmen und begreifen, was mir mein Lebensalter jetzt gerade bietet. Und was ich vielleicht mit ruhigem Gewissen auch nicht mehr mitmachen muss.

MIA. hat das begriffen und die Band steht dazu. Älter werden, weiterziehen und den Süßen Vogel Jugend hinter sich zu lassen, ist eben kein Tabu. Und auch kein Grund, um zu verzweifeln: Der Sommer ja sowieso, aber auch der Herbst und der Winter werden noch viel zu bieten haben.

Im Alten Testament gibt es einen Text, der so etwas ähnliches aussagt. Nicht direkt aufs Alter, aber auf das gesamte Leben bezogen: Alles hat seine Zeit!

Trotzdem: Bei der Reise aus dem Frühling über Sommer und Herbst bis in den Winter lande ich ganz am Schluss ja doch bei den kahlen Zweigen, bei Kälte und Düsternis – beim Tod. Aber gerade das singen MIA. eben nicht. Zwar sehen wir im Winter auch Kreise, die sich schließen, und das können auch Lebenskreise sein. Aber die Reise geht nicht dem Winter, sondern sie geht der Sonne entgegen.

Keine Ahnung, ob MIA. das christlich oder religiös verstanden haben wollen. Doch ich weiß gar nicht, wie man das groß anders verstehen soll. Zumindest eine Hoffnung, ein Licht ist es, auf das wir in unserem Leben zulaufen. MIA. nennen es in diesem Lied Sonne. Ich nenne es Himmel. Ich nenne es Gott.

Darauf läuft alles hinaus und das beruhigt mich ungemein. Das Paradies ist nicht meine Zeit als Teenager in Unterlüß, nicht die aufregende und tolle Zeit als Student in Göttingen. Das Paradies liegt mein ganzes Leben auf Erden noch vor mir.

Wovor sollte ich also Angst haben? Ich ziehe munter weiter, der Sonne – oder was weiß ich – entgegen.

Das neununddreißigste kleine Licht.

Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund.

Ihr Pastor Jörg Prahler

Songtext: Sonne

(Dies ist der Text der Albumfassung. Die ist etwas länger als das Video)

Ein Frühling:
Wir sprießen.
Wir beben.
Wir sind dem Temperament ergeben,
erleben uns unbezwungen

Riddling.
Asking.
Giggling.

Der Sommer:
Wir baden.
Wir träumen.
Wir saugen alles auf,
es gilt nichts zu versäumen.


Sowing.
Watching.
Growing.


There’s something inbetween.
Sähen.
Sehen.
Wachsen.
There’s something inbetween.

Süßer Vogel Jugend,
komm wir tanzen,
komm wir wiegen uns im Takt der Nacht.
Wir brechen ein Tabu:
Wir werden älter.


Süßer Vogel Jugend,
sieh uns wachsen und gedeihen,
sieh uns hinterher.
Wir werden weiterziehen –
der Sonne entgegen.

Ein Herbsttag:
Wir laufen.
Wir reden.
Wir sind dem Moment ergeben,
erleben uns unbezwungen.

Walking.
Breathing.
Talking.

Der Winter:
Wir brauchen.
Wir teilen.
Wir sehen, die Kreise die sich schließen,
und verweilen.

Peaceful.
Seeing.
Giving.

There’s nothing inbetween.
Frieden.
Verstehen.
Geben.
There’s nothing inbetween.

Süßer Vogel Jugend,
komm wir tanzen,
komm wir wiegen uns im Takt der Nacht.
Ich breche ein Tabu:
Ich werde älter.

Süßer Vogel Jugend,
sieh mich wachsen und gedeihen,
sieh mir hinterher.
Ich werde weiterziehen –
der Sonne entgegen.

Süßer Vogel Jugend,
komm wir tanzen,
komm wir wiegen uns im Takt der Nacht.
Wir brechen kein Tabu:
Wir werden älter.

Süßer Vogel Jugend,
sieh uns wachsen und gedeihen,
sieh uns hinterher.
Wir sehnen uns –
der Sonne entgegen.

Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.

Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

Rückmeldungen, Fragen oder Anregungen gerne an joergprahler@gmx.de.

Ein Kommentar

  1. Hier könnt ihr gerne eure Kommentare abgeben: Wie hat euch diese Andacht gefallen? Mögt ihr die Samstagslichter über Pop- oder Rocksongs? Wie haltet ihr es mit dem Süßen Vogel Jugend? Festhalten, komme, was da wolle oder winken und weiterziehen? Oder mal so, mal so?

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