Schach und Corona
Eine Virusepidemie verbreitet sich mit einem exponentiellen Wachstum. Das ist gar nicht so schwierig auszurechnen, Menschen können sich das Besondere an einer Exponentialfunktion eben nur sehr schwer vorstellen.
Deshalb beginne ich heute mal mit einer Rätselfrage, beziehungsweise mit einem kleinen Test: „Hinter dem Dorf liegt ein sehr großer See. Auf dem See schwimmt ein kleines bisschen Entengrütze. Diese Entengrütze wächst und verdoppelt jeden Tag ihre Größe. Nach 30 Tagen ist der ganze See voller Entengrütze. An welchem Tag war der See nur halb bedeckt?“ Die Antwort finden Sie am Schluss dieser Andacht.
Symbolbild. Foto: Rainer Sturm / pixelio.de
Ein anderes Beispiel. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte über die Erfindung des Schachspiels: „Vor etwa 1.700 Jahren regierte in Indien ein König, der die Leistungen und den Wert seiner Untertanen nicht zu schätzen wusste. Um das Herz dieses Herrschers zum Besseren zu kehren, erfand ein weiser Mann das Schachspiel und schenkte es seinem König. In diesem Spiel war der König zwar die wichtigste Figur, denn wenn der König fiel, so war auch das ganze Spiel verloren. Der König war aber auch eine der schwächsten Figuren auf dem Feld. Wer das Spiel gewinnen wollte, der musste auch die anderen Figuren wertschätzen und sie je nach ihren Stärken und Möglichkeiten gut einsetzen. Dies läuterte den Sinn des König und er hatte viel Freude am Schachspiel.
Deshalb ließ der König den weise Mann rufen und bat ihm, sich eine großzügige Belohnung auszuwählen. Berge von Gold, ein prächtiger Palast – der König wollte sich nicht lumpen lassen.
Da sprach der Weise: ‚Ich wünsche mir nur dies: Auf das erste Feld des Schachbretts sollst du mir ein einzelnes Weizenkorn legen. Auf das zweite zwei, auf das dritte vier, auf das vierte Feld legst du mir acht Weizenkörner. Und so sollst du es weiter halten mit allen 64 Feldern des Schachbretts. Der Weizen, der so zusammenkommt, soll meine Belohnung sein.‘
Da dachte der König, dass der weise Mann mit seiner Bitte doch sehr bescheiden gewesen wäre. Er gewährte ihm den Wunsch und befahl seinen Beamten, die Summe auszurechnen und den Weizen herbeizuschaffen.
Nach einer Woche fragte der König noch einmal nach, ob der weise Mann sein Korn bereits erhalten und mitgenommen hätte. Da antworteten die Beamten: ‚Edler Herrscher, wir rechnen immer noch. Aber eines wissen wir schon: Alle Vorräte Indiens werden dafür nicht reichen.‘ “
Foto: Jörg Prahler
1+2+4+8+16+32+64+128=255. Das ist die Anzahl der Weizenkörner, wenn man die erste acht Felder oder die erste Reihe eines Schachbretts ausrechnet. Dann fehlen aber noch sieben weitere Reihen. 255 Körner reichen nicht, um damit ein Brot zu backen oder um den Reichtum Indiens zu gefährden. Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen, wohin die Reise gehen mag. Aber dafür gibt es Wikipedia.
Insgesamt kommen bei der Berechnung 18.446.744.073.709.551.615 Weizenkörner heraus. Das sind in Worten 18 Trillionen, 446 Billiarden, 744 Billionen, 73 Milliarden, 709 Millionen, 551 Tausend, 615 Weizenkörner. Das entspricht einem Gewicht von etwa 730 Milliarden Tonnen Weizen. Ausgehend von der weltweiten Weizenernte des Jahres 2017/2018 müssten dafür die Ernten von 1.036 Jahren bereit gestellt werden. Guck mal an, der Weise war gar nicht so bescheiden!
Das Besondere an einer Exponentialfunktion ist, das so ein Wachstum zwar vergleichsweise langsam losgeht, dass es sich mit der Zeit aber geradezu explosionsartig beschleunigt. Zu Anfang der Corona-Epidemie merkte man persönlich noch gar nicht viel von der Ausbreitung der Krankheit. Die Zahlen waren klein und das Ganze wirkte wenig bedrohlich. Zwar sagten die Wissenschaftler, dass ein Kranker etwa drei andere Menschen anstecken würde. Aber auch das machte anfangs kaum jemandem Sorgen. Wir waren auch noch in der ersten Reihe des Schachbretts.
Inzwischen werden überall auf der Welt drastische Maßnahmen gegen die Verbreitung der Krankheit getroffen. Die Zahl der Kranken soll sich nicht mehr alle drei bis vier Tage, sondern nur alle zehn oder 14 Tage verdoppeln.
Das soll vor allem drei Dinge bewirken: Erstens sollen die Krankenhäuser und die Intensivstationen nicht auf einen Schlag überfüllt werden. So kann den schwerkranken Intensivpatienten weiter geholfen werden. Zweitens sollen nicht alle Einwohner gleichzeitig erkranken, sondern lieber über einen längeren Zeitraum hinweg. Es sollen in ein paar Wochen beispielsweise nicht alle Ärztinnen gleichzeitig krank im Bett liegen. Besser ist, wenn etliche die Krankheit schon wieder überwunden haben und schon wieder gesund sind. Und drittens müssen wir für die Risikopatienten, die Älteren und die Vorerkrankten Zeit gewinnen. Die müssen möglichst gesund bleiben, bis die ersten Medikamente oder ein Impfstoff entwickelt worden sind.
Aus diesem Grund müssen wir uns gründlich die Hände waschen, direkten Kontakt zu anderen vermeiden und auf Hygiene achten. Denn auch das ist wichtig bei Exponentialfunktionen: Wenn es jetzt nur ein paar Tage länger dauert, bis sich die Zahl der Erkrankten verdoppelt, dann hat das sehr große Auswirkungen bis zum Ende des Jahres. Es ist wichtig das zwischendrin viele Kranke niemanden weiter anstecken, weil ihre Krankheit rechtzeitig entdeckt wurde oder weil sie wirklich strikt in der eigenen Wohnung geblieben sind. Wenn man zwischendrin die Zahl der Weizenkörner immer wieder verringert, dann schrumpft die Zahl am Ende gewaltig.
Dass wir so viel zu Hause sitzen und uns von anderen Menschen fernhalten, ergibt also sehr viel Sinn. Also: Halten Sie durch und bleiben Sie stark.
Reicht das schon für ein kleines Licht? Hmm, irgendwie noch nicht.
In der Bibel wird wenig gerechnet und überhaupt kein Schach gespielt. Aber in einem der schönsten Psalmen geht es unter anderem um die Grenzen unserer Vorstellungskraft. Es geht darum, dass Gottes Liebe zu uns größer ist als alles, was wir uns denken und ausmalen können. Der Psalm 139: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.“
Ich glaube daran, dass Gott auch während dieser Krankheit immer für mich da ist.
Das vierzehnte kleine Licht.
Bleiben Sie gesund. Werden Sie gesund.
Ihr Pastor Jörg Prahler
Des Rätsels Lösung: Wenn sich die Fläche mit jedem Tag verdoppelt, dann ist der See am vorletzten Tag, also am 29., halb zugewachsen.
Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.
„Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.
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