Übermorgen ist Rosenmontag. Der Karneval steuert seinem Höhepunkt entgegen. Aber mich lässt der ganze Trubel kalt. Ich kann gar nicht genau sagen warum. Wahrscheinlich ist es die Kombination von norddeutscher Herkunft und frühkindlichen Faschingserfahrungen.Wir schreiben das Jahr 1977. Ich bin gerade sechs Jahre alt und gehe noch in die Vorschule. Da steht der Rosenmontag vor der Tür –und ich habe nichts anzuziehen. Wir haben zwar ein Cowboy-Outfit inklusive einer Plastikpistole im Haus, doch das bekommt natürlich mein Bruder, der schon in die zweite Klasse geht. Aber als was soll ich gehen? Da schlägt beim sonntäglichen Kaffeetrinken ein Verwandter vor: „Wickel dir doch einen Schal als Turban um den Kopf und geh als Ali Baba.“Gesagt, getan. Derart gekleidet mache ich mich am Rosenmontag auf den Weg in die Vorschule. Dort mische ich mich unter all die anderen Cowboys, Piraten und Prinzessinnen. Neugierig fragt mich einer: „Wer bist du denn?“ „Ich bin Ali Baba!“, antworte ich noch halbwegs stolz. Er schaut mich fragend an: „Und wer ist das?“ Da bleibt mir nichts übrig als kleinlaut zu erwidern: „Das weiß ich auch nicht.“ Das war schon blöd, auf die Frage, wer ich bin, keine Antwort geben zu können.Der Karneval mit all seinen Kostümen lebt davon, einmal –und sei es nur für einen Tag –ein anderer zu sein. Aber so fröhlich es dabei auch zugehen mag: Es ist immer ein Wunsch, der sich gegen einen selbst richtet: Gegen mich, gegen die Person, die ich wirklich bin.Wäre nicht das Gegenteil erstrebenswerter? Nämlich den Wunsch zu haben, einmal ich selbst zu sein. Einmal frei davon zu sein, die eigenen Defizite zu sehen. Einmal nicht dem hinterher zu trauern, dass ich dieses oder jenes nicht bin oder kann. Einmal mich so zu sehen, wie ich bin –und mich darüber zu freuen. Und aus vollem Herzen mitzusprechen, was der Beter des 139. Psalms formuliert hat: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.“Wer diese Worte mitsprechen kann, braucht die Frage „Wer bist du denn?“ nicht zu fürchten. Sondern kann sagen: „Ich bin ich!“ Ein Unikat aus Gottes Hand. Einzigartig und unverwechselbar.