„Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nur noch einen Tag zu leben hättest?“
Auf jeden Fall würde ich dann keine Andacht schreiben. Ich würde auch keine Post aufmachen und keine E-Mails mehr beantworten.
Wahrscheinlich würde ich mich ganz früh morgens in die Zimmer meiner Kinder schleichen und sehen, wie sie schlafen. Eigentlich sind sie schon viel zu groß dazu. Aber als sie noch ganz klein waren, da hat mich das immer sehr gerührt. So mit drei, vier Jahren. Wie friedlich sie dann waren. Solch einen Augenblick würde ich gern einmal noch in meinem Leben wieder hervorholen.
Ich würde wahrscheinlich einmal noch zu meiner Frau ins Bett kriechen. Mich zitternd und weinend in den Arm nehmen lassen. Gar nichts reden.
Wenn der Bäcker aufmacht, dann würde ich Brötchen holen für alle. Für mich Rosinenbrötchen. Und dann dick mit Butter beschmieren und dann eins essen mit Apfel-Birnen-Gelee und eins mit Zuckerrübensirup.
Ich würde bei meinen Eltern anrufen und mich für alles bedanken. Und mich für so einiges entschuldigen. Eine lange Mail an alle meine Freunde. Die Zeit ist knapp. Das muss reichen. Einen langen Brief an meinen besten Freund. So viel Zeit muss sein.
Ich würde bei den alten Freundinnen und Freunden anrufen, wo noch etwas quer liegt. Ich will keinen ungelösten Streit hinter mir zurücklassen.
So viel Zeit wie geht, würde ich mit meiner Familie verbringen wollen. Ich schreibe allen Entschuldigungen für die Schule.
Gerne würde ich einmal noch was Leckeres essen. Das wird für mich schwer werden, mich da zu entscheiden. Und am Ende wird es immer Ente.
Ich werde weinen und stottern und versuchen, meinen Lieben noch was Wichtiges zu sagen. Irgendwas, was unbedingt noch gesagt werden muss. Irgendwas.
Eine Sache darf ich auf keinen Fall verpassen: Ich will ein letztes Mal sehen, wie die Sonne untergeht. Wie der Himmel sich rot färbt. Und unseren wunderschönen Sternenhimmel.
Ich würde Gott bitten, dass er gut zu mir ist. Dass er mir vergibt, was ich falsch gemacht habe. Oder was ich gar nicht gemacht habe. Ich würde Gott sagen, dass ich hoffe, dass im Himmel nicht nur Harfe gespielt wird. Und nicht nur Kirchenlieder gesungen werden. Dass es da auch wild und lustig zugeht. Und dass ich hoffe, dass es den Himmel wirklich gibt. Ich würde die anderen sonst sehr vermissen.
Ich würde mir wünschen, dass du meine Hand hältst und ich meinen Kopf an deine Schulter legen kann. In meinen letzten Sekunden.
Ich würde keine Andacht schreiben. Amen.
Jörg Prahler, Pastor aus Quickborn