Gorleben ist raus – Kirche bleibt drin

Immer öfter hört man: „Ich beginne wieder etwas Vertrauen zurückzugewinnen.“ Vertrauen ist wie die Herbstsonne, die sich durch den Nebel des Misstrauens aus 43 Jahren Endlagerkonflikt hervortastet. Was für eine Freude, wenn das Vertrauen eine Chance im Endlagersuchprozess bekäme. Die Enttäuschungen waren zu groß, die Täuschungen zu perfide und das politische Wollen zu gelenkt. Gorleben ist raus – wer wird drin sein? Ich freue mich, dass die neuen noch zu benennenden Standorte einen besseren Start haben, als wir je hatten: zum ersten Mal ist mit Gorleben ein Suchort aus reinen Sachgründen und nicht aus politischen Kalkül herausgefallen. Das ist ein Erfolg, an den hier keiner mehr glaubte. Ist das schon die „Sonne der Gerechtigkeit, die aufgeht zu unserer Zeit“? Dies Kirchenlied will mir nicht mehr aus dem Kopf. Gorleben ist raus – zu meiner Zeit hatte ich das nicht zu hoffen gewagt. Gorleben ist raus – Kirche aber bleibt drin! Viele mögliche Standorte befinden sich dort, wo auch Christinnen und Christen leben. Die Solidarität bleibt weiterhin unsere Aufgabe. Andere Menschen als wir müssen sich bald der Verantwortung stellen, mit allen Irrtümern, Verletzungen, und allem Reifen an demokratischer Vernunft. Wenn wir als Kirche unser Wachsen im Konflikt ernstnehmen, können wir uns nicht einfach zurücklehnen. Es wäre eine Freude, wenn wir anderen dabei helfen könnten, ihre Haltungen und Erlebnisse vor ihrem Glauben theologisch zu finden, wenn es um den bestmöglichen Standort für hochradioaktiven Atommüll gehen wird. Das St. Floriansprinzip darf es unter Christenmenschen nicht geben. Ohne Vertrauen geht das nicht. Auch wir brauchen Vertrauen jetzt: Nach der Sorge kommt die Nachsorge. Die liebe Seele hat nicht einfach ihre Ruh, weil Gorleben aus dem Blick verschwindet. Welche Identität geben wir unserem Leben im Landkreis, wenn die gleichsam wirkende Streit- und Integrationskraft Lücken hinterlässt? Ohne Vertrauen kein Glaube. Kraft und Besonnenheit brauchen wir, um aufeinander zuzugehen, das Trennende zu überwinden. Nicht allein damit Kreistage wieder gelingen, sondern um uns das im jahrzehntelangen Konflikt Gelernte zu bewahren: Mit Kreativität, Menschlichkeit und Gerechtigkeit über unseren eigenen Tellerrand zuschauen, um Demokratie zu leben. Das Zwischenlager bleibt, das letzte Gorlebener Gebet noch nicht gesprochen. Freude kann mutig machen für das, was kommt. „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unserer Zeit. Fang in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann. Erbarm dich Herr.“ EG262

Ihr Propst Stephan Wichert-v. Holten