Antiautoritäre Bibelarbeit
Die Losung für den heutigen Tag lautet:
Der Herr spricht: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst.“ Psalm 32, Vers 8.
Ich merke sofort, wie sich in mir alles zusammenzieht. So will ich mit mir nicht reden lassen. Nicht mal von Gott.
Alles ploppt wieder auf: Glauben von oben herab.
Die Mittelalterkirche, wo von den hohen Kanzeln auf die Gemeinde herunter gepredigt wurde. Schäfchen, die das Maul halten, alles schlucken, was ihnen gesagt wird, und die ansonsten schön folgsam sind. Pfarrherren, die bis in die 50er, 60er Jahre hinein ihre Gemeinden wie kleine Könige regierten. Ohne Widerspruch. Ohne die Möglichkeit mitzureden und die Notwendigkeit mitzudenken.
Und dieses Bild sitzt tief und selbst dort, wo man es eigentlich gar nicht vermutet. Vor ein paar Jahren bei einem Besuch des Landessuperintendenten Dieter Rathing redete sich eine Lokalpolitikerin ausgerechnet von den Grünen in Rage. Zwar im Dienste einer guten Sache: „Sagen Sie den Pastoren, dass sie für eine artgerechte Tierhaltung predigen sollen.“
Der Landessuperintendent sagt es den PastorInnen. Die PastorInnen sagen es der Gemeinde. Und immer wird schön gehorcht auf das, was die da oben sagen. Ich könnte würgen.
Und nun die Tageslosung von heute. Eine Anweisung von ganz oben. Der Herr spricht: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst.“
Nun weiß ich ja auch, dass ich nicht jeden einzelnen Satz aus der Bibel auf die Goldwaage legen muss. Der Psalm 32 soll auf König David zurückgehen. Wenn das so stimmt, könnte er etwa 3000 Jahre alt sein. Die Welt damals und die Welt heute unterschieden sich doch sehr voneinander.
Unter anderem war die Welt damals noch sehr nach Befehl und Gehorsam ausgerichtet. Autoritäten wurden nicht hinterfragt. Wenn der König was wollte, dann mussten die Untertanen springen. Wenn der Hausherr etwas sagte, dann war das Gesetz. Vieles von diesen Machtstrukturen wurde auch bei Gott vorausgesetzt: Gott befiehlt und die Menschen müssen kuschen.
Und so ist das über Jahrhunderte und Jahrtausende geblieben. Da gab es Herren und es gab Knechte. Und wer etwas zu sagen hatte und wer darauf zu hören hatte, das lag von vornherein fest.
In diesem Sinne wurde dann später auch die Bibel verstanden. Als höchste Autorität, die alles Nötige befiehlt und festlegt. Und die Gläubigen haben das dann zu schlucken. Natürlich hat man dann in diese Hierarchie auch noch ein paar Menschen dazwischen eingebaut. Päpste, Bischöfe und Dorfpastoren, die Gottes unhinterfragbaren Willen mit geradezu göttlicher Autorität an die jeweils untere Ebene weiterleiten durften.
Aber wir leben heute nicht mehr zu Zeiten Davids. Auch nicht mehr im Mittelalter und auch nicht mehr in den 50ger Jahren. Autoritäre Herrscher, über jeden Zweifel erhabene Führer gehören inzwischen auf den Müllhaufen der Geschichte.
Heute muss jede und jeder seine Autorität begründen und sich gegebenenfalls auch erst verdienen. Unserer AnführerInnen wählen wir uns selbst. Und irgendwann wählen wir sie auch wieder ab. Was wir denken und glauben können, darüber urteilen wir mit unserem eigenen Kopf.
Und letzten Endes war das schon immer so. Denn Gott ist ja kein Puppenspieler. Dass wir nach seinem Bilde geschaffen sind, bedeutet unter anderem, dass wir einen klaren Verstand und einen wachen Geist haben, mit dem wir Gott begegnen können. Und das ist kein Betriebsunfall, sondern Gott will das so. Deshalb denke ich auch wir ChristInnen Gott und die Bibel oft falsch verstanden haben. Gott ist kein Gott, der von oben nach unten Anweisungen durchreicht. Die Bibel ist keine Bedienungsanleitung, die es stumpf umzusetzen gilt.
Ich habe in meiner Jugendzeit jede Woche mindestens zweimal Bibelarbeiten gemacht. Wir haben in der Jugendgruppe oder im Mitarbeiterkreis ein Stück aus der Bibel gelesen und dann darüber diskutiert, was dieser Text für uns bedeutet.
Als erstes ist mir aufgefallen, dass es nicht die eine, absolut klare Bedeutung eines Bibeltextes gibt. Jeder fand etwas anderes oder setzte einen anderen Schwerpunkt bei dem, was für ihn von Bedeutung war.
Als zweites musste sich jeder Bibeltext seine Autorität erst verdienen. Wir gaben ihm allerdings auch eine gute Chance dazu: Wir haben alle anderthalb Stunden intensiv darüber diskutiert und uns Gedanken gemacht. Wir haben nicht nur auf die Oberfläche geschaut, sondern sind in die Tiefe gegangen. Und das auch bei Bibeltexte, die uns auf den ersten Blick abgeschreckt haben.
Und als drittes: Der Bibeltext musste uns überzeugen, damit er für uns wichtig werden konnte. Ich musste verstehen und einsehen, worum es geht. Ich musste etwas damit anfangen können, um etwas damit anzufangen. Und dann erlebte ich Folgendes: Die Bibel, das Evangelium besteht nicht aus Vorschriften und aus Anweisungen. Es besteht aus Angeboten, Freiheiten und Hilfen, die Welt anders zu sehen. Und besser mit dem Leben klar zu kommen.
Vor allem habe ich erkannt: Gott will, dass wir ein freies, glückliches und erfülltes Leben führen. Dafür, dass das klappt und dass das auch mit all den Menschen um uns herum klappen kann, da macht er Angebote. Dafür gibt er Tipps und Weisungen. Dafür zeigt er einen Weg, wie das funktionieren kann. Darauf kann ich mich gut einlassen.
Und dann ändert sich auch mein Bild von Gott: Er ist nicht mehr der autoritäre Typ im Himmel, der mich zu irgendwas zwingen will. Im Gegenteil: Gott zeigt mit, wo mich andere Kräfte in meinem Leben zwingen und gefangen nehmen. Wo falsche Autoritäten versuchen, Gewalt über mich zu bekommen.
Wir sind freie mündige Menschen, denen Gott zu einem guten Leben helfen will. Wer Gott und seiner guten Botschaft eine ehrliche Chance gibt, der wird das auch erkennen können.
Wir sind jedenfalls kein Vieh, dem man einen Ring durch die Nase zieht, damit sie hinter irgendeinem Führer hinterher trotten. Auch nicht Gott selber.
Aber so schlau ist Gott ja sogar selbst auch: „Seid nicht wie Rosse oder Maultiere, die ohne Verstand sind, denen man Zaum und Gebiss anlegen muss; sie werden sonst nicht zu dir kommen“.
Das vierundneunzigste kleine Licht.
Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund.
Ihr Pastor Jörg Prahler
Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend, außer am Wochenende von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.
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