Ein kleines Licht am 20. Mai

Wie baue ich eine Kirche?

Im Sommer 1991 machte ich zusammen mit einer Freundin einen Wanderurlaub in Schottland. Danach guckten wir uns noch ein bisschen in Südengland um.

Zuerst waren wir mit dem Bus von Hannover nach Schottland gefahren. Dann sind wir von Glasgow bis zum Ben Nevis gewandert. Es folgte ein Abstecher auf die Insel Skye. Danach sind wir über Edinburgh und London nach Stonehenge getrampt. Die letzte Nacht übernachten wir in einem richtigen englischen Herrenhaus. Der freundlicher Besitzer hatte uns an der Straße aufgelesen. Er muss wohl Mitleid mit uns abgerissenen Gestalten gehabt haben. Am nächsten Morgen brachte er uns zum Bahnhof in der nahegelegenen südenglischen Stadt Salisbury. Von dort sollte es nach London und dann wieder mit dem Bus nach Hause gehen.

Im Auto erzählte er uns etwas über die Geschichte der berühmten Kathedrale von Salisbury, das ich bis heute nicht vergessen habe.

Die Kathedrale von Salisbury.

Foto: Diego Delso. Quelle: Wikipedia. CC BY-SA 4.0 .

https://de.wikipedia.org/wiki/Kathedrale_von_Salisbury#/media/Datei:Catedral_de_Salisbury,_Salisbury,_Inglaterra,_2014-08-12,_DD_03.JPG

Die Kathedrale hat mit 123 Metern den höchsten Kirchturm von ganz Großbritannien. Durch das enorme Gewicht des Turmes hatten sich im Laufe der Jahrhunderte manche Steine verformt. Also musste der ganze Kirchturm teilweise abgebaut und aufwändig restauriert werden.

Dabei sahen die Bauleute ein riesiges Problem auf sich zukommen: Während dieser Maßnahme mussten besonders einige ganz besonders gearbeitete Steine ersetzt werden. Leider war inzwischen vieles von dem Wissen der mittelalterlichen Bauleute verloren gegangen. Im Prinzip wusste heute keiner, wie diese ganz besonderen Steine bearbeitet werden mussten.

Man forschte und man probierte wild herum. Aber noch war überhaupt nicht klar, ob sie den Turm jemals wieder genau so perfekt zusammensetzen konnten.

Die Spezialisten rauften sich die Haare und suchten fieberhaft nach einer Lösung. Die Bauarbeiten schritten derweil immer weiter weiter voran. Irgendwann begann man den Fußboden aufzumachen und an den Fundamenten zu arbeiten. Und dabei machten die Arbeiter eine überraschende Entdeckung.

Unter dem Fußboden der Kirche fand man all die entscheidenden Steine, die man so bitter nötig hatte, noch ein zweites Mal als Kopie. Schon vor rund 800 Jahren beim Bau der Kirche im Mittelalter hatte man die Schwierigkeiten kommender Generationen vorausgesehen. Man hatten die schwierigsten Steinmetzarbeiten noch ein weiteres Mal ausgeführt und im Sand unter der Kirche vergraben. So hatten die Bauleute mit dem Wissen und dem Können der damaligen Zeit für uns heute vorgesorgt.

Damit hatten die Bauarbeiter unserer Zeit endlich alles in der Hand, um den Kirchturm ordentlich zu restaurieren. Und man fertigte wieder Kopien dieser Steine an und vergrub sie unter der Kirche. Für die Menschen in 500 oder 1.000 Jahren, die den Kirchturm irgendwann erneut wieder ausbessern müssen.

Ich fand diese Weitsicht der Steinmetze aus dem Mittelalter großartig. Und ihre Bereitschaft, für Probleme von Menschen Vorsorge zu treffen, die viel, viel später nach ihnen kamen.

Ich denke, wir können sehr viel von diesen Bauleuten lernen: In der Art wie wir wirtschaften, wie wir mit Ressourcen umgehen, wie wir die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Denn bislang scheint Weitsicht gerade nicht unsere größte Stärke zu sein.

Das merkt man auch während der Coronaepidemie besonders.

Wie kann es eigentlich sein, dass in einem so reichen Land nicht ausreichend Schutzmasken zur Verfügung stehen? Wie kann es sein, dass die Welt von einer Epidemie überrascht wird, vor der in der Art doch schon seit Jahrzehnten gewarnt wird? Warum werden erst jetzt Notfallpläne entwickelt, wenn der Notfall doch längst schon da ist?

Vorsorge kostet Geld, Zeit und Mühe. Die Bauleute im Mittelalter hätten sich bestimmt eine Menge Arbeit sparen können, wenn sie nur an sich gedacht hätten. Aber das haben sie nicht. Mit ihrer Weitsicht haben sie dafür gesorgt, dass die Kathedrale jetzt wieder viele weitere Jahrhunderte überdauern kann. So baut man eine Kirche. So packt man wichtige Dinge an.

Das vierundsechzigste kleine Licht.

Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund.

Ihr Pastor Jörg Prahler

Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend, außer am Wochenende von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.

Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

Rückmeldungen, Fragen oder Anregungen gerne an joergprahler@gmx.de.

2 Kommentare

  1. Das ist ja eine spannende Geschichte – und wirklich erstaunlich!
    Seit meiner Jugend versuche ich, mich zu einem ganzheitlich gesunden Menschen zu entwickeln. Erst lief es eher unbewusst ab, und ich musste mit den Jahren erst lernen, dass ich das Leben nur positiv beeinflussen oder Menschen um mich herum nur helfen kann, wenn ich bei mir selbst anfange. Den ersten Spruch im Poesiealbum meiner Schwester (von ihrer Klassenlehrerin) fand ich mit meinen 6 Jahren von allen Sprüchen am besten, und ich habe ihn nicht vergessen: Das Lächeln, das du aussendest, kehrt zu dir zurück ! Man könnte auch sagen: ALLES, was du aussendest, im positiven wie auch im negativen Sinne. Zudem möchte ich im hohen Alter -so weit wie möglich- das Leben noch beschwerdefrei genießen und am Ende auch gerne so verlassen. Der Körper ist der einzige physische Körper, den wir zusammen mit unserer Seele und unserem Geist in diesem Leben haben und bewohnen. Alles ist mit allem verbunden und beeinflusst sich gegenseitig. Dieses in Wertschätzung und Dankbarkeit für alles, was ist, in Balance zu bringen, kann schon mal mindestens ein Leben lang dauern – zumindest ist es bei mir so.

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