Predigt für den Sonntag Kantate

“Wohl so eine Art von Auflockerung”

Predigttext: 2. Buch der Chronik 5, 2-5, 12-14

Die Einweihung des Tempels

Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des HERRN hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat gefeiert wird. Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertundzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus des HERRN erfüllt mit einer Wolke, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.

Liebe Gemeinde.

Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben: Es gab so ein bisschen eine Diskussion. Eine Diskussion, ob heute überhaupt so ein günstiger Tag ist, um wieder mit den Gottesdiensten anzufangen. Erstmal war die Zeit ziemlich knapp, all die Anforderungen und Maßnahmen pünktlich umzusetzen. Für die Hygiene. Gegen den Coronavirus.

Dann aber vor allem: Ausgerechnet am Sonntag Kantate. Am Sonntag, der schon „Singet“ heißt. Und wo natürlich alle singen sollen. Und ausgerechnet dann gibt es ein Singverbot für die Gemeinde und für alle Chöre. Und dann gibt es Blasverbot für alle Posaunenchöre. Das ist schon ein bisschen ungünstig. Auf den ersten Blick.

Auf den zweiten Blick: Worum geht‘s denn im Predigttext überhaupt? Der Tempel in Jerusalem wird eingeweiht. Ein Gotteshaus wird in Betrieb genommen. Nach langer Zeit der Warterei und der Vorfreude. Genau das machen wir heute auch.

Die, die im Tempel Dienst tun, waren festlich angezogen. – Entscheidet selbst.

Gut, dann singen sie, der Chor der Leviten. 120 Priester spielen Trompete und machen viel Musik. Das wird heute anders sein.

Aber dann wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke – also mit einem Aerosol. Und die Priester mussten einen Sicherheitsabstand einhalten. – Was will man denn eigentlich mehr? Ich wüsste ehrlich gesagt keinen Predigttext, der besser passen würde auf unserer Situation heute. Was wollt Ihr denn noch?

Aber jetzt mal Spaß bei Seite. Dieser Sonntag ist ein Sonntag über das Singen. Singen zur Ehre Gottes. Und in diesem Predigttext, da passieren eigentlich zwei Sachen: Die Sänger, die da singen, und die Trompetenspieler, die da spielen, die klingen wie eine Stimme. Und die klingen wie eine Trompete.

Es geht um Gemeinschaft. Um Harmonie. Etwas, was viele Menschen zusammen tun.

Und die zweite Sache ist das, was die Menschen da singen. Sie loben Gott und singen: „Er ist gütig und seine Barmherzigkeit währt ewig“. Das ist wie eine Einladung für Gott. Und dann kommt die Wolke in den Tempel, wie so ein Nebel in einer Fernsehshow: Dann weißt du schon: Gleich kommt der Stargast und gleich geht das Licht an und es geht richtig los: „Die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.“

Gesang ist also oder Musik kann zumindest sein: – eine Einladung an Gott.

Insofern: Schade, dass wir heute nicht alle zusammen singen dürfen. Wobei, ganz so einfach ist es auch nicht: Immer wenn die Orgel spielt, ist Gott da. Spätestens in der zweiten Strophe von einem Choral kommt der Heilige Geist hinterher. Ich kenne zwar Leute, die würden das sinngemäß vielleicht sogar behaupten.

Aber ich glaube das nicht. Besser gesagt: Bei mir funktioniert das so nicht.

Wenn wir mit den Kollegen alle zwei Jahre zusammen für ein paar Tage wegfahren, dann machen wir uns eigentlich immer auch einen schönen Abend. Wenn einer dann sagt: „Oh, toll, ich habe meine Gitarre dabei“, dann denke ich immer: „Ojemine! Könnten wir nicht einfach nur nett zusammensitzen, ein bisschen schnacken und ein Bier trinken?“ Nö, Pastoren müssen immer singen. Ich weiß nicht warum. Meinetwegen müsste es auch nicht so sein. Eigentlich ist Singen gar nicht so mein Ding. Und das war schon immer so.

Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit meinem Vater. Ich war relativ frisch im Konfirmandenunterricht und ich hatte schon die ersten Unterschriften auf meiner Gottesdienstkarte voll. Ich fragte meinen Vater: „Papi, warum wird im Gottesdienst eigentlich so viel gesungen.“ „Jörg“, sagte mein Vater. „Ich glaube, das war ursprünglich mal als so eine Art von Auflockerung gedacht“. Ich sagte: „Ah!“

Da hatte er mir was erklärt, auf das ich selber so nicht gekommen wäre. Und ich glaube auch mein Vater spürte diese Auflockerung beim Singen in der Kirche selber nicht so richtig.

Nun muss ich aber auch sagen: Damals gab es auch noch ein noch älteres Gesangbuch. Da waren überhaupt keine modernen Lieder drin. Und wir hatten in Unterlüß für den Gottesdienst auch keine extra Liederbücher mit Liedern für Jugendliche.

Und es ist nun mal so: Es gibt ja wahrscheinlich auch keinen Radiosender, den die ganze Familie gut findet. Es gibt kaum ein Lied, das dem Enkel genau so gut gefällt wie der Oma. Bei Kirchenliedern genau das Gleiche. Außer an Weihnachten vielleicht gehen die Geschmäcker gewaltig auseinander.

Also muss jeder selber seinen Zugang finden. Und deshalb hat jeder seine eigenen Lieder, die ihm was bedeuten.

Das erste Mal wirklich gerne gesungen habe ich in der Jugendgruppe. Und das erste Lied, das ich gerne gesungen habe, war: „Geh, Abraham geh.“

Das ist so ein Lied, das ist einfach zu lernen. Das verträgt auch mal einen falschen Ton. Das funktioniert auch, wenn einer mal zwischendurch in den Stimmbruch kommt. Vor allem haben wir in dem Lied etwas gemacht, was gar nicht in dem Text drin stand: Wir haben an den richtigen Stellen auf die richtige Art und Weise geklatscht.

Und darauf kommt es an: Du kannst zusammen etwas in der Gruppe, was du vorher erst gelernt hast. Das muss nicht schwierig sein. Aber wenn wir was zusammen gelernt haben, schweißt uns das zusammen. Funktioniert mit jedem Lied.

Deswegen hoffe ich ja, dass jeder wenigstens ein bisschen versucht, mitzusingen. Damit wir als Gemeinde mit einer Stimme singen. Selbst wenn einer dabei ein bisschen schief singt. Hauptsache, er bleibt nicht außen vor.

Das zweite ist: Die Musik spricht Gefühle an, wie du das allein mit Worten nur ganz, ganz schwer hinkriegst.

Wir fahren ja mit unseren Konfirmanden und mit denen aus Lüchow und aus Plate jeden Winter für fünf Tage ins Schloß Mansfeld im Südharz.

Jeden Morgen und jeden Abend feiern wir kleine Gottesdienste. Und natürlich, am ersten Tag traut sich keiner mitzusingen. Der Pastor und die Pastorinnen, diesmal auch die Vikarin und ein paar Teamer sind zu hören. Sonst eher vornehmes Schweigen. Die Konfis haben ihre Liederhefte aufgeschlagen und denken den Text mit. Ganz Mutige bewegen noch die Lippen, aber hören tut man nichts.

Wir kriegen die Konfis aber jedes Jahr, spätestens wenn Luisa „Halleluja“ singt. Dieses Lied von Leonard Cohen, nur schöner als wenn Leonard Cohen das selber singt.

Der Text ist auf englisch. Eigentlich ist es ein Gedicht und gar nicht so leicht zu verstehen. Aber in dem Lied wird unheimlich oft das Wort „Halleluja“ wiederholt. Es geht in diesem Lied um Sehnsucht und um Liebe und wie alles in die Brüche geht und man sich sozusagen am Ende mit diesem Halleluja Gott in die Arme singt.

Ich bin verzweifelt und ich werde doch gerettet und bin geborgen, egal was kommt. Das ist die Botschaft. Und das will jeder Konfi mitsingen. Und mitfühlen. Und das bricht das Eis.

Und wenn du dieses Lied gesungen hast, dann singst du auch die anderen. Und dann hört man es manchmal aus den Zimmern. Wie die Konfis singen. Und manchmal auf der Fahrt nach Hause hört man es im Bus. Irgendein Lied, was dieses Gefühl weiterträgt. Und das geht mir selber nahe und gehört zu den schönsten Erlebnissen, die ich als Pastor haben kann: Wenn bei den Jungs und bei den Mädchen ein Funke überspringt.

Und wenn es richtig gut kommt, dann gibt es Lieder, da fügt sich alles zusammen: Die Melodie, der Text, das Gefühl und die Botschaft. Es gibt Lieder, die mir was ganz Wichtiges sagen: Zum Beispiel das Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper. Ein Adventslied. Von einem Mann, der sich das Leben genommen hat, weil seine Frau von den Nazis ins Konzentrationslager gebracht werden sollte. Sie war Jüdin, er war Christ. Bevor man sie auseinanderreißen konnte, sind beide in den Tod gegangen.

Das Lied handelt davon, dass Jesus selbst in der tiefsten Nacht bei dir ist. Und das für dich ein neuer Tag anbrechen wird. Und wenn nicht in dieser, dann in Gottes neuer Welt. Ich halte mich an diesen Zeilen und an diesen Tönen fest, wenn es mir selber mal sehr schlecht geht. Gott schenkt mir einen neuen Morgen, egal was auch kommt. Ich glaube das. Ich habe die Melodie dazu im Kopf. Und dann, dann geht es weiter.

Und es gibt Lieder, die mein Leben verändert haben: Es gibt zum Beispiel ein Lied von Hannes Wader, über das ich gestern eine Andacht fürs Internet geschrieben habe. „Es ist an der Zeit“. Als ich das das erste Mal gehört habe, war mir klar: Ich kann nicht zur Bundeswehr gehen. Ich muss den Kriegsdienst verweigern. Das muss doch irgendwie anders gehen, für den Frieden zu sorgen, außer mit einer Waffe in der Hand. Ohne diese schöne Stimme von Hannes Wader , ohne seinen – ich sage mal – beschwörenden Gesang, hätte ich da anders drüber nachdenken können. Aber so haben sich seine Worte in meinem Herzen festgesetzt und haben mich verändert.

Aber auch schöne oder fröhliche Lieder: Beim Brückengottesdienst, wir sitzen am Deich. Die Sonne strahlt auf die Posaunen. Und 150 Menschen singen, denken und fühlen das Gleiche: „Jetzt ist es schön. Alles ist perfekt. Ich spüre: Gott ist da!“ Ich denke: „So muss Kirche sein“.

Und das nimmst du nachher mit nach Hause. Und egal, was da dann morgen kommt: Es wird leichter zu tragen sein. Ohne Gesang, ohne Musik sind solche Gefühle doch unvorstellbar, oder?

Jetzt dürft Ihr heute nicht singen. Ihr seid quasi gezwungen Euch das anzuhören, was ich für Euch ausgesucht und für Euch vorbereitet habe. Und ich konnte richtig in meine persönliche Mottenkiste greifen. Lieder, die mir was bedeuten. Musik, die mein Herz anspricht. Das war also sozusagen Radio Jörg Prahler. Und es gibt, wie gesagt, keinen Radiosender, der eine Musik spielt, die alle gut finden.

Diesmal darf ich das: Singverbot für die Gemeinde, Vorsingerlaubnis für den Pastor. Am nächsten Sonntag Kantate kommen dann hoffentlich wieder Lieder, die Ihr laut mitsingen könnt. Lieder, von denen ich weiß, dass Ihr oder Ihr sie gerne mögt.

Oder die für euch so einen Gottesdienst ein bisschen auflockern.

Aber vielleicht in der Zwischenzeit stöbert Ihr selbst ein bisschen rum. Im Gesangbuch oder auf Youtube, an eurem CD- oder Plattenregal. Sucht mal eine Musik, ein Lied oder ein Stück, das Gott in euer Leben einlädt. Meinetwegen in Euer Haus zu Hause. In Euer Autoradio. Über eure Kopfhörer. Ein Lied, das euer Herz auf die Sprünge bringt und euren Glauben ein bisschen antickt. Und dann macht Ihr die Musik laut und dann singt Ihr mit. Zu Hause ist das ja schließlich alles eure Aerosolwolke. Mal sehen, was passiert.

Amen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Hier könnt Ihr das Lied “Hallelujah” von Leonard Cohen hören:

… und hier in einer berühmten Coverversion von Jeff Buckley:

An diesem Sonntag öffnen die Kirchen in DaLaQui wieder ihre Pforten. Die Zahl der Plätze ist beschränkt. Nicht alle können oder sollten am Sonntag in die Kirche kommen. Deshalb wollen wir bis auf weiteres und wenn es der Text der Predigt es irgendwie zulässt, die Sonntagspredigt auch weiterhin ins Internet stellen.

Sonntags und an Feiertagen finden Sie nach wie vor einen passenden Gebetsablauf auf dieser Seite und auf den Seiten der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können mit Hilfe dieses Ablauf allein oder mit der Familie einen Gottesdienst feiern.

Mein Opa hat aber gar kein Internet“? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen, zu verlinken oder sie anderen am Telefon vorzulesen. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

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