Es ist an der Zeit
Ich muss so 16, 17 Jahre alt gewesen sein. Ich hatte bei uns in der Stube zu tun. Es lief NDR2, die Plattenkiste. Irgendwelche Vereine, Schulklassen, Kegelclubs oder Leute aus dem selben Büro stellten für eine Stunde das Musikprogramm zusammen. Lieder, die sie mochten oder die ihnen wichtig waren. Dazu wurden sie interviewt.
Eigentlich eine schöne Idee. Und es wurden nicht immer die gleichen Stücke abgedudelt. Es kam auch mal was Besonderes.
Wie gesagt, ich hatte irgendwas bei uns im Wohnzimmer zu tun. Habe irgendwas gesucht oder irgendwas wieder zurück gebracht. Da spielten sie in der Plattenkiste dieses Lied von Hannes Wader: „Es ist an der Zeit“.
Ich hörte auf mit dem, was ich gerade tat. Ich hörte zu. Ich blieb wie gebannt stehen. Und ich weiß noch, dass mir die Tränen liefen. Ich war traurig. Ich war entsetzt. Und ich war zornig.
Und in meinem Herzen und in meinem Verstand entstand ein ganz klarer, fester Gedanke: „Niemals!“ Niemals in meinem ganzen Leben würde ich mich in Krieg hineinziehen lassen. Niemals würde ich mich zu einem Soldaten ausbilden lassen. Niemals würde ich eine Uniform anziehen.
Ich habe diese Sache in den nächsten Monaten und Jahren noch sehr oft über dieses Thema nachgedacht. Ich habe mit meinen Freunden und meinen Klassenkameraden diskutiert. Ich hatte viele Gespräche zu Hause. Aber letztlich ist während dieses Liedes für mich der Entschluss gefallen: Ich will den Kriegsdienst verweigern.
Das sollte damals nicht ganz einfach werden. Mein Vater war Zivilangestellter bei der Bundeswehr. Der größter Arbeitgeber in unserem Dorf war eine Rüstungsfirma. Viele meiner Freunde waren Soldatenkinder. Einige wollten sich später selbst für zwölf Jahre verpflichten.
Mitte der 80er Jahre musste man seine Entscheidung gegen den Kriegsdienst schriftlich begründen. Das mündliche Verfahren äme dann nach der ersten Ablehnung deines Antrags. Ich brauchte Argumente und musste weit tiefer überlegen und nachdenken. Eine Kommission entschied dann danach, ob deine Gründe glaubhaft waren und ausreichten. Menschen, die dich noch nie gesehen hatten.
Von manchen Leuten wurdest du als Drückeberger angesehen. Manche Personalchefs stellten keinen jungen Mann ein, der nicht beim Bund gewesen war.
Trotzdem bin ich bei meiner Entscheidung geblieben. Ich habe 20 Monate Zivildienst in einer Einrichtung für Männer mit einer geistigen Behinderung gemacht. Das waren wertvolle Erfahrungen für mich. Ich habe viel gelernt und das hat mir viel gebracht. Und ganz sicher auch sehr viel für den Beruf eines Pastoren.
Inzwischen ist eine Menge passiert. Manche Diskussionen wurden in den 80er Jahren noch sehr ideologisch geführt und verlaufen heute weit entspannter. Ich sehe genauer hin und höre besser zu, wenn mir zum Beispiel Soldatinnen und Soldaten von ihrer Arbeit erzählen.
Nach wie vor halte ich meine Entscheidung für richtig. Ich kann aber auch verstehen, wenn jemand anderes zur Bundeswehr geht, gerade um Kriege zu vermeiden oder militärische Konflikte einzudämmen oder Zivilpersonen zu schützen. Ich sehe aber auch, wie oft dieser Weg scheitert. Weil sich Krieg nun mal so gut wie nie mit Krieg bekämpfen lässt.
Aber die Schrecken des Krieges, die Gräuel und die Verbrechen kleinzureden, von Heldentum zu sprechen und im Krieg irgendwas Edles zu suchen – alles das sind diese Lügen, von denen Hannes Wader in seinem Lied singt und auf die niemand mehr reinfallen darf. Gerade wenn wieder Stimmen laut werden, die das Nationale verklären.
Wohin dieser Weg jedes Mal geführt hat und immer wieder führen wird, ist klar: Zu Massen von namenlosen Kreuzen auf Soldatenfriedhöfen. Zu zersprengten und zerrissenen Leibern von Männern, die fast noch Kinder sind. Zu Menschen, deren Seelen zerbrochen sind, wegen dessen, was ihnen geschehen ist. Und wegen dessen, was sie getan haben. Krieg führt zu Leid und Tod und Unglück.
Selig sind und Gottes Kinder werden diejenigen heißen, die Frieden stiften. Nicht die, die den Krieg gutheißen oder die den Frieden aufs Spiel setzen. Das muss klar sein. Es ist wieder an der Zeit.
Das dreiundfünfzigste kleine Licht.
Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund.
Ihr Pastor Jörg Prahler
Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.
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