Gedanken zum Tag
An meinen Garten grenzt die Wand eines alten Fachwerkhauses. Man sieht es ihr an, wie die Zeiten an ihr vorübergegangen sind. Krumm und schief, manches Fachwerk ist ein Bauch geworden, wölbt sich nach außen. Wie das bei alten Fachwerkhäusern gern so ist: man sieht ihnen das Leben an, die Spuren, die es hinterlassen hat. Alte Fachwerkhäuser sind äußerst lebendig. Sie haben Menschen beherbergt, Schicksale der Menschen erlebt, ihre Mauern haben die Tränen des Glücks und die Tränen des Kummers aufgesogen. Die Gebete gehört, die Menschen gebetet haben. Das Jauchzen von Kindern und das Lächeln der Alten gesehen. Generation um Generation. Die Mauern waren Schutz und Wohnung, Geborgenheit und Zuflucht, manchmal auch wie ein Korsett: Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst. Krumm und schief sind sie geworden und genau so sind sie standfest. Ein bißchen Spielraum muß sein, damit es nicht beim kleinsten Stoß umfällt. Nimm einer Fachwerkwand den Bauch und rück alles wieder gerade, es würde wahrscheinlich schnell einstürzen. So aber, mit dem Bauch, krumm und schief, ist es nicht starr, sondern beweglich. Starres zerbricht leicht. Bewegliches vertraut sich den Stürmen an, ohne zu zerbrechen. Von den Bäumen kennen wir es auch. Häuserwände sind so. Menschen auch. Perfektion und Norm sind der Tod von allem Lebendigen. Menschen sind liebenswert mit ihren Bäuchen, Schrägheiten und Macken. Denn sie sind menschlich. Die Perfekten kann man nur bewundern, liebenswert aber sind die Krummen und Schiefen, denn sie sind wie ich. Bitte nicht allzu gerade rücken. Was sollten wir anfangen mit einer Welt, in der keine Fehler erlaubt wären. Probieren geht über Studieren, sagt man. Mögen wir den Bestimmungen und Verordnungen auch erlauben, zu wenig zu regeln oder zuviel zu regeln, denn sie können und müssen sich jederzeit wieder ändern. N beten scheef het God lev.
Pastorin Susanne Ackermann
St. Johannis Dannenberg
Freitag 8. Mai 2020