Ein kleines Licht am 28. April

Alle Menschen sind sterblich

Der Keller ist aufgeräumt, alle Fenster sind geputzt und der Garten ist auch schon picobello? Dann ist jetzt vielleicht die Zeit, ein gutes Buch zu lesen. Ich will euch jetzt ab und zu mal Bücher vorstellen, die ich gut finde oder die mir was bedeuten.

Den Anfang macht der Roman „Alle Menschen sind sterblich“ von der französischen Autorin Simone de Beauvoir.

(Hier mein Exemplar. Etwas zerknautscht und tüchtig zerlesen. Foto: Jörg Prahler)

Simone de Beauvoir gilt als eine der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Jean-Paul Satre und Albert Camus begründete sie als Philosophin den französischen Existentialismus. Mit ihrem Werk „Das andere Geschlecht“ gilt sie als eine der Gründermütter des Feminismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Aber keine Angst: „Alle Menschen sind sterblich“ ist weder besonders schwierig zu lesen oder zu verstehen, noch soll der Leser oder die Leserin zu irgendwas bekehrt werden. Es ist einfach ein sehr spannender Roman, der sich dabei mit einer tiefschürfenden Frage beschäftigt: Was macht eigentlich einen Menschen aus? Und was gibt meinen Taten einen Sinn?

Das Buch ist zugleich ein Historien- oder ein Abenteuerroman oder auch ein philosophischer Roman mit einem Hauch Fantasy.

Aber worum geht es eigentlich?

Die etwas eitle und sehr Ich-bezogene Schauspielerin Regine lernt in einem Hotel in den 30er Jahren einen eigenartigen Mann kennen. Dieser Mann, Fosca, verhält sich eigenartig. Er setzt sich morgens auf einen Stuhl in der Garten und er legt sich abends auf das gemachte Bett. Er ist völlig zurückgezogen und teilnahmslos. Selbst wenn es in Strömen regnet, verlässt er seinen Platz im Garten nicht. Seine Rechnungen zahlt er mit altertümlichen Goldmünzen.

Dieser Fremde weckte das Interesse der Schauspielerin. Regine geht zu Fosca und drängt ihn, ihr von ihm zu erzählen. Nach und nach erzählt Fosca Regine seine fantastische Lebensgeschichte.

Diese Gespräche zwischen Regine und Fosca sind die Rahmenhandlung des Romans, die immer wieder von den Berichten Foscas unterbrochen werden.

Denn obwohl Fosca wie ein junger Mann aussieht, lebt er schon seit vielen Jahrhunderten und er wird auch in Zukunft ewig jung und unverändert weiterleben. Trotzdem war er am Beginn seines Berichtes noch ein vollkommen anderer Mensch.

Ein junger, tatendurstiger italienischer Adliger aus dem 13. Jahrhundert. Leidenschaftlich, idealistisch und beseelt von dem Gedanken, in der Welt etwas zu bewegen. Wie um Himmels willen konnte aus dem lebendigen Fosca von damals der niedergeschlagene und antriebslose Fosca von heute werden.

Foscas Erzählung beginnt in der fiktiven italienischen Stadt Carmona. Wieder einmal ist Krieg zwischen den vielen italienischen Fürstentümern und Stadtstaaten und auch Carmona wird belagert. Fosca hat alle kampffähigen Männer bewaffnen und alle unnützen Esser aus der Stadt jagen lassen. Da wird ein alter Bettler aufgegriffen. Mit einem wundersamen Geschenk will er sich sein Leben erkaufen: Ein Trank, der unsterblich macht. Wer diesen Trank genommen hat, der wird um keinen Tag mehr altern. Weder Krankheit noch Schwert noch irgendeine andere Macht wird ihn noch töten können. Ein ewiges Leben in dieser Welt.

Fosca ist fasziniert und greift zu: Was für unendliche Möglichkeiten stehen ihm dann offen? Was für eine großartige Gelegenheit, die ehrgeizigsten Pläne zu verfolgen? Kein Dolchstoß und kein vergifteter Becher wird Fosca mehr stoppen können. Er kann größte Risiken eingehen und seine Ziele geduldig und über Jahrzehnte hinweg verfolgen. Alles scheint auf einmal machbar.

Der Trank hält, was er verspricht: Fosca kann mit seinen neuen Kräften den Belagerungsring um seine Stadt herum sprengen. Carmona ist frei. Doch auf jeden Sieg, den er erringt, folgt irgendwann eine Niederlage. Was er auf der einen Seite aufbaut, wird auf der anderen Seite wieder eingerissen. Am Ende stürzt er seine eigene Familie dabei ins Unglück.

Fosca verlässt seine kleine Stadt und schließt sich dem deutschen Kaiser an. Wenn er schon nicht selbst die größte Macht erringen kann, dann wird er vielleicht den mächtigsten Mann der Welt dienen und dadurch was bewegen. Er arbeitet für den Kaiser, danach für dessen Sohn und für dessen Enkel. Aber da sind Intrigen am Hof, widerstreitende Interessen, Hemmnisse und Widerstände, die irgendwann jeden Erfolg von Fosca wieder zunichte machen.

Er verlässt den Hof des Kaisers und zieht in das neu entdeckte Land jenseits des Ozeans. Mit einem Freund zusammen will er auf Entdeckungsreise quer durch den unerforschten Kontinent reisen. Doch während sein Freund auf dieser Reise erkrankt und letztlich stirbt, war die Expedition für Fosca zu keinem Augenblick auch nur gefährlich. Was ist dann der Lohn, wenn die Reise kein Wagnis ist?

Fosca kehrt nach Europa zurück und wendet sich der Wissenschaft zu, er verliebt sich und er heiratet. Doch seine Frau wird älter und er nicht. Alles um ihn herum schwindet und vergeht. Es gibt kaum noch etwas, was ihn mit den anderen Menschen verbindet. Als seine Frau stirbt, zieht er sich zurück.

Noch einmal greift er in die Geschichte ein, als in Paris um 1830 die Revolution ausbricht. Aber während alle anderen im Kampf ihr Leben riskieren, hat Fosca nichts, was er einsetzen kann. Er spürt, dass er nirgendwo mehr dazu gehört.

Er hält sich von allem fern, bis er irgendwann in dieses Hotel gelangt, wo er Tag für Tag sitzt. Ohnmächtig noch etwas anzugehen. Außerstande, noch etwas zu fühlen.

Am Schluss erklärt er Regine, was seine größte Angst ist: Am Ende auf einer menschenleeren Erde alleine ewig zu existieren.

Die Schauspielerin Regine sitzt bei Fosca und hört sich seine Geschichte an. Zuerst war sie fasziniert und sie hatte sich ausgemalt, wie sie in Foscas Erinnerung ewig weiter leben würde. Jetzt erkennt sie das grauenvolle Schicksal dieses Mannes. Die Turmuhr schlägt. Regine entringt sich ihr erster Schrei.

Hast du dir schon mal gewünscht, ewig zu leben? In dieser Welt einfach immer weiter da zu sein? Seit diesem Buch von Simone de Beauvoir bin ich von diesem Wunsch kuriert.

Mein Leben hier auf der Erde, ist nur wertvoll, weil es endlich ist. Ich denke, so ein ähnlicher Gedanke steckt auch in dieser Bitte aus dem Psalm: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90, Vers 12). Meine Tage haben nur einen Sinn, wenn sie gezählt sind. Lieben kann ich nur, wenn ich verletzlich bin. Ein Erfolg lohnt nur, wenn ich dafür kämpfen musste. Das ist das Eine. Und das hilft mir, Rückschläge, schwere Zeiten, sogar Schmerz und Kummer anzunehmen. Ohne sie würde ich das Gute gar nicht wahrnehmen können.

Der zweite wichtige Gedanke ist: Ich nehme mein Leben als einen Ausschnitt in der Geschichte an. Ich versuche das, was ich heute hier tue, möglichst gut und verantwortungsbewusst zu machen. Meinen kleinen Teil will ich gut hinkriegen. Ich gucke natürlich auch, ob das in den großen Zusammenhang passt.

Aber ich frage nicht: Was hat das für einen Sinn, meinen Müll nicht in den Wald zu schmeißen, wenn rund acht Milliarden Menschen vielleicht ganz anders tun? Ich frage nicht, was das für die Welt in hundert oder tausend Jahren ändert, wenn ich etwas tue oder lasse. Diese Fragen machen einen verrückt und sie verhindern jede Aktivität. Ich lebe vielleicht 80 Jahre auf dieser Welt. Und für diese Zeit und den Bereich um mich herum bin ich verantwortlich. Auch für die Menschen weit weg, die ich mit meinen Taten vielleicht erreiche. Ich mache mir die Welt übersichtlicher, damit ich überhaupt irgendwas erkennen kann.

Ich schätze meine Zeit, möglichst jeden einzelnen Tag, denn sie sind wertvoll. Ich bedenke, was ich tue, weil ich mich vor Gott verantwortlich fühle. Und damit lebe ich gut.

In dieser Welt wird von mir nichts Ewiges bleiben. Vielleicht meine Kinder und Kindeskinder für lange, lange Zeit. Schließlich reichen ja auch meine Vorfahren Millionen, wenn nicht Milliarden Jahre zurück bis zu den Anfängen des Lebens. Vielleicht bleiben von mir Anstöße und Wirkungen, die wieder andere Menschen angestoßen haben, etwas zu tun. Und so weiter… Aber es wird von mir aufs Große und Ganze gesehen nichts übrig bleiben, woran spätere Generationen sich erinnern können.

Ich lebe im Hier und Jetzt und ich versuche es hier und jetzt gut zu machen. Und ich bin sterblich wie alle anderen – ein Glück!

Wobei ich ja trotzdem an die Ewigkeit glaube. Nur nicht in dieser Welt, sondern bei Gott. Aber diese Ewigkeit sieht anders aus als die von Fosca. Im Himmel liegt der Sinn meiner Existenz und meines Lebens nicht in mir selber und schon gar nicht in dem, was ich tue. Mein Sinn ist, dass Gott mich liebt. Und das ungefiltert und direkt zu erleben, das reicht dann für die Ewigkeit.

Das zweiundvierzigste kleine Licht.

Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund.

Ihr Pastor Jörg Prahler

PS: Jeff Bezos, der Chef von Amazon ist einer der reichsten Menschen der Welt. Der Buchladen bei uns um die Ecke kämpft wegen der Corona-Epidemie wahrscheinlich um seine Existenz. Es wäre wirklich schlau und gut gedacht, seine Bücher gerade jetzt nicht im Internet, sondern im Laden um die Ecke zu bestellen und zu kaufen.

Alle Menschen sind sterblich von Simone de Beauvoir ist im Rowohlt-Verlag erschienen, hat 477 Seiten und kostet als Taschenbuch 12 Euro. Viel Vergnügen beim Lesen.

Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.

Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

Rückmeldungen, Fragen oder Anregungen gerne an joergprahler@gmx.de.

Ein Kommentar

  1. Bitte einen Kommentar dalassen oder gern auch mal selbst ein nettes, spannendes, schlaues oder ganz, ganz tolles Buch empfehlen.

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