Lazarus
Ein Musikvideo am Karsamstag? Ich denke, dieses passt.
„Lazarus“ ist ein Name aus der Bibel. Zweimal taucht der Name im neuen Testament auf. Einmal ist es ein Freund von Jesus. Lazarus wird von Jesus von den Toten auferweckt. Noch mit Grabtüchern umwickelt erhebt sich Lazarus aus dem Grab. Ein anderes Mal ist Lazarus ein armer Mann in einem Gleichnis. Nach seinem Tod kommt er in den Himmel und genießt die himmlischen Freuden.
Und „Lazarus“ ist der Name eines Musicals, das David Bowie geschrieben hat. Genau so heißt das Lied von David Bowie, um das es heute geht.
David Bowie gilt als einer der einflussreichsten Rock- und Popmusiker der Welt. Er war Sänger, Komponist, Musiker Schauspieler, Stilikone, Künstler und zugleich auch selbst eine Kunstfigur, die sich immer wieder neu erfand.
Seine Karriere begann, als ich geboren wurde. Er war schon da, als ich meine ersten Schallplatten kaufte. Er schrieb den Song „Heroes“ für den ich immer noch jedes Gespräch abbreche, um auf die Tanzfläche zu laufen. Er hatten Höhen und Tiefen. Nahm Drogen, kam davon los. Machte schlechte Platten, machte gar keine Platten mehr und kam 2013 mit einem großartigen Album wieder aus der Versenkung.
Am 8. Januar 2016 erschien sein letztes Album „Blackstar“. Einen Tag vorher war das Video zu Lazarus zu sehen.
Der Song, aber vor allem das Video haben mich beeindruckt und verstört.
Eine karge, runtergekommene Kammer. Eine Gestalt, fast nicht zu sehen, kommt aus einem dunklen Schrank. David Bowie liegt mit verbundenen Augen in einem alten Krankenbett. Er trägt ein altmodisches Nachthemd, weißes Kissen, weiße Laken, eine blasse altrosa Wolldecke. Anstelle der Augen sind kleine schwarze Knöpfe auf die Mullbinde genäht. Alt sieht er aus. Mager. Faltig. Die Hände in die Decke gekrallt, die Decke bis zum Kinn gezogen.
„Schau hier hoch, ich bin im Himmel. Ich habe Narben, die keiner sehen kann. Ich habe ein Drama, das keiner stehlen kann. Jeder kennt mich jetzt.“
Nach Himmel sieht das nicht aus. Überhaupt nicht. Es sieht aus nach Krankheit und nach Tod.
„Schau hier hoch, Mann, ich bin in Gefahr. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich bin so high, dass meine Gedanken herumwirbeln…“.
Unter dem Bett ist schemenhaft eine alte, irre Frau zu erkennen. Sie tastet mit der Hand die Matratze nach oben. Das sieht in der Tat gefährlich und beängstigend aus. Die Kamera geht einmal langsam über David Bowie und das Bett hinweg. Während er singt, hebt er den Oberkörper, scheint fast zu schweben, fällt dann wieder zurück. Zu anstrengend. Als die Kamera auf der anderen Seite wieder unter das Bett schaut, ist die Frau verschwunden. Dort liegen nur ein Damenschuh und ein alter Karton.
Die Musik wird lauter, vielleicht auch nicht mehr so düster. Rückblick:
„Als ich nach New York kam, lebte ich wie ein König. Dann habe ich all mein Geld verbraucht. Ich habe nach deinem Arsch gesucht.“
Während dieser Szene steht David Bowie im Zimmer. Abwechselnd wird er im Bett und stehend gezeigt. Wenn er steht trägt er ein altes Bühnenkostüm, in dem er auf einer Platte aus den 70ern fotografiert wurde. Er erinnert sich an sein altes Leben. Bowie beschwört die große und zugleich doch wieder trostlose Vergangenheit. Alles gewonnen, wieder alles verloren. Die Suche nach deinem Hintern? Vielleicht geht es da um Sex. Aber auch das ist keine schöne Erinnerung. Eher ist alles hohl und leer und wertlos jetzt.
Bowie im Bett singt jetzt mit ausgebreiteten Armen. Bowie im gestreiften Kostüm beginnt hektisch wie im Wahn am Schreibtisch letzte Ideen aufzuschreiben. Auf dem Schreibtisch ein Schädel. Unter dem Tisch hockt die irre Frau. Fast berührt sie ihn mit dem Finger und lässt es doch bleiben.
„Dieser Weg oder kein Weg! Du weißt, ich werde frei sein wie das Blaukehlchen. Sieht mir das nicht ähnlich?
Oh, ich werde frei sein wie das Blaukehlchen. Sieht mir das nicht ähnlich?“
Das Lied klingt langsam aus. Bowie am Schreibtisch schreibt wie im Rausch. Als hätte er noch was zu erledigen. Als müsste er unbedingt noch irgendwas zu Papier bringen. Er quält sich, schreibt schon mehr auf den Tisch als in sein Heft.
Bowie im Bett breitet die Arme aus. Die Frau ist erst wieder unterm Bett. Dann steht sie am Rand der Kammer bei der Tür. Die Frau an der Tür und David Bowie im Bett breiten die Arme zueinander aus.
Der Bowie am Schreibtisch reißt sich los und geht rückwärts, widerstrebend und mit knappen, abgehackten Bewegungen in den Schrank. Die letzte Szene zeigt, wie er die Tür vom Schrank zuzieht.
„Look up here, I‘m in heaven. Oh, I‘ll be free, just like that bluebird. Oh, I‘ll be free. Ain‘t that just like me?“
Während der Dreharbeiten zu dem Video erklärten die Ärzte David Bowies Leberkrebs für nicht mehr therapierbar und brachen die Behandlung ab. David Bowie hatte seine Krankheit geheim gehalten.
Das Video zu Lazarus wurde am 7. Januar 2016 veröffentlicht. Am 8. Januar kam das Album „Blackstar“ heraus. Es war der 69. Geburtstag von David Bowie. Ich bekam es am selben Tag und weiß noch, wie ich mich gefreut habe. Am 10. Januar ist David Bowie gestorben. Ich war sehr traurig.
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. (Psalm 90,12)
Mit Recht wird behauptet, dass sich David Bowie sich mit diesem Song sein eigenes Requiem geschrieben habe. Ich denke, mit dem Video hat er es vor allem auch genial verfilmt. Es lässt sich in dem Film längst nicht alles erklären. Die Deutung ist jedem selber überlassen, der dieses Video anschaut.
Dieses Sterben ist traurig und armselig. David Bowie hätte noch viel mehr gute Musik schreiben können. Er hätte noch ein gutes Leben haben können.
Der Tod macht Angst und er macht auch keinen Sinn. Er ist diese irre und wirre Frau, die irgendwie auf jeden lauert. Und die ja doch nicht weiß, was sie tut.
Wir sind letztlich blind mit Kopfaugen, wenn es auf unsere letzte Grenze hier auf Erden zugeht. Viele sind dann krank, ans Bett gefesselt, im Elend.
Der Blick in die Vergangenheit hilft uns nicht weiter. Schöne, alte Träume, wahrscheinlich lange her. Und vielleicht war die Vergangenheit auch gar nicht so gut, wie ich mir das einrede.
Auch das Festhalten am Hier und Jetzt bringt nichts. Das Klammern an die Arbeit, meine Pläne, meine Träume. Die letzte Zeile, die ich unbedingt noch zu Papier bringen will… Irgendwann musst du doch in den Schrank, die Kiste, den Sarg.
Inzwischen ist der Kranke schon weiter: Er streckt die Arme aus ins Unbekannte. Die Frau, der Tod erwidert seinen Gruß.
Und von dem, wovon in dem ganzen Film nichts zu sehen ist…
Wovon an keinem Sterbebett etwas zu sehen ist…
Und auf keiner Beerdigung…
… davon wird hier schon gesungen: „Schau hier hoch, ich bin im Himmel. … Dieser Weg oder kein Weg! Du weißt, ich werde frei sein wie das Blaukehlchen. Sieht mir das nicht ähnlich?“
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Halten Sie aus. Morgen ist Ostern.
Das fünfundzwanzigste kleine Licht.
Bleiben Sie gesund. Werden Sie gesund.
Ihr Pastor Jörg Prahler
Der Bluebird, „Blauvogel“ ist ein sehr hübscher, sehr beliebter amerikanischer Vogel. „Blaukehlchen“ ist eine etwas untertriebene Übersetzung. Foto: Jesse Achtenberg – U.S. Fish and Wildlife Service
Hier noch mal der ganze Songtext:
Look up here, I’m in heaven
I’ve got scars that can’t be seen
I’ve got drama, can’t be stolen
Everybody knows me now
Look up here, man, I’m in danger
I’ve got nothing left to lose
I’m so high it makes my brain whirl
Dropped my cell phone down below
Ain’t that just like me?
By the time I got to New York
I was living like a king
Then I used up all my money
I was looking for your ass
This way or no way
You know, I’ll be free
Just like that bluebird
Now ain’t that just like me?
Oh I’ll be free
Just like that bluebird
Oh I’ll be free
Ain’t that just like me?
Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.
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