Predigt am Karfreitag: Pastor Lehmann und der Jesus am Kreuz

Pastor Lehmann und der Jesus am Kreuz

Ich habe die folgende Predigt auch aufgenommen, damit sie über die entsprechende Telefonnummer des Kirchenkreises angehört werden kann. Diese Aufnahmen können Sie auch gerne hier anhören. Dann sollten Sie aber unbedingt auch noch einen Blick auf das Ende dieses Textes werfen.

      Predigt 9,4,20 Corona 128

Hintergrund für diese Predigt ist die Erzählung von der Kreuzigung von Jesus. So wie sie im Johannesevangelium beschrieben wird. Dabei ist diese Predigt ist keine normale Predigt, sondern eine Geschichte. Aber ich denke, sie erklärt ganz gut, worum es an Karfreitag geht.

Pastor Lehmann hat die Renovierung seiner Kirche abgeschlossen. Den alten Bau hatte man kurz nach dem ersten Weltkrieg mehr schlecht als recht hochgezogen. Billige Materialien, was man so hatte in der schlechten Zeit. Der Geschmack des Architekten war zum Wegrennen gewesen: Nicht klassisch, nicht modern, einfach nur hässlich und unpraktisch. Der Altar war eine Holzkasten. Darüber ein Bild von Jesus, ziemlich kitschig und überhaupt nicht nach dem Geschmack von heute: Der Heiland, übertrieben seufzend, mit den Haaren im Wind. Jetzt war alles umgebaut, grundsaniert, neu gemacht. So wie eine Kirche heute aussehen muss:

Die Kirchenbänke hatten sie rausgerissen, Stühle dafür rein geräumt. Die Decke warmes dunkles Holz. Die Wände weiß, kaum merklich abgetönt. Fensterbänke, Taufbecken und Altar aus dem gleichen kräftigen rotbraunen Granit. Der Altarraum groß und freundlich, um eine Stufe erhöht, was gut ist für den Chor und für die Familiengottesdienste. Schöne Lampen, gute Lautsprecheranlage. Alles vom Besten. Ein Traum.

Das alte Bild hinter dem Altar hatten sie abgenommen und weggeschmissen. Keiner weinte dem eine Träne hinterher. Nicht mal eingelagert worden ist Bild. Es war aus künstlerischen Gesichtspunkten einfach Schund. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Und nun steht Pastor Lehmann in seiner Kirche. Alles fertig, heute soll das neue Altarbild kommen. Das Bild für die Wand hinter dem Altar. Pastor Lehmann ist ganz aufgeregt. René Berkenbusch hatte der Künstler geheißen. Wer sich ein bisschen auskannte, der wusste, das ist ein bekannter Name. Herr Lehmann hatte ihn über seinen alten Studienkollegen Patrick kennen gelernt.

Vier Monate war das her. Herr Lehmann hatte Patrick gefragt: „Du hast doch da diesen Maler in deiner Gemeinde. Der hat doch in eurem Gemeindezentrum für den großen Saal dieses Dings gemalt.“ „Ganz genau.“ „Das hat mir echt gefallen. Würde der wohl für uns ein Altarbild malen?“ „Kann sein, frag ihn doch.“ „Was wird der dafür haben wollen?“ „Ach für die Kirche nimmt es nicht so viel, wie seine Bilder wert sind. Aber ich sag dir gleich, der ist sehr eigen. Ein komischer Kerl. Sehr eigen. Ein Künstler halt. Aber gut.“ „Ja, ja, geht schon klar“, sagt Pastor Lehmann.

Mit dem Kunstreferat und dem Amt für Bau- und Kunstpflege war man sich schnell einig gewesen: „Wenn sie den Berkenbusch kriegen, dann ist das gut. Nur der ist nicht ganz einfach. Lassen Sie sich von ihm doch mal eine Mappe zusenden.“

Sehr eigen und nicht ganz einfach“ Langsam wird Pastor Lehmann langsam etwas mulmig zumute: „Worauf lasse ich mich da nur ein?“

Er telefoniert mit Berkenbusch. Der hat Zeit, ist interessiert und schickt mal einen Ordner mit Fotos von seinen Bildern zu Pastor Lehmann. Auf der nächsten Kirchenvorstandssitzung sitzt der Kirchenvorstand um einen Tisch herum und schaut sich die Bilder an. Das ist alles ziemlich bunt und ziemlich modern. Schon sehr abstrakt, aber man kann immer noch erkennen, was gemeint ist.

Die Meinungen sind geteilt, ein Herr aus dem Kirchenkreisamt und einer aus Hannover sind da. „Sie haben bald eine modern eingerichtete Kirche. Dann brauchen sie auch ein modernes Bild hinter dem Altar.“

Über Geschmack lässt sich nicht streiten und über Geschmack lässt sich natürlich hervorragend streiten. „Natürlich wird manch einer aus der Gemeinde etwas Zeit brauchen, bis er mit dem Bild warm wird. Aber das ist echte Kunst, die sie dann haben. Und manch eine Kirchengemeinde wird sie darum beneiden.“

Dann kann der Künstler ja erst mal ein paar Vorschläge machen und wir sehen denn, wie uns das gefällt.“ Sagt einer vom Kirchenvorstand.

Darauf wird Herr Berkenbusch sich nicht einlassen“, sagt der Herr aus Hannover. „Ein Viertel des Kaufpreises verlangt René Berkenbusch vor Beginn seiner Arbeit. Den Rest, wenn ihnen das Bild gefällt. Ansonsten nimmt er es wieder mit.“ Das ist eine harte Bedingung.

Vier Gemeinden haben sakrale Gemälde bei Herrn Berkenbusch in Auftrag gegeben. Alle sind zufrieden.“ Trotzdem, das ist eine harte Bedingung. Der Kirchenvorstand vertagt das Thema.

Und dann machen die interessierten KV-Mitglieder erst mal einen Besuch bei René Berkenbusch. Mehr als 300 Kilometer im VW-Bus bis ins Emsland. Das Wetter ist schön, es ist eine Stimmung wie bei einem Klassenausflug. Der Künstler lebt mit Freunden und erstaunlich vielen Katzen auf einem Resthof. Im umgebauten Schweinestall ist sein Atelier. Es gibt Tee und alte Kekse. Pastor Lehmann hat Fotos von der Kirche mitgebracht, vor der Renovierung und jetzt während der Arbeiten. Zeichnungen, wie es einmal werden soll.

Der Herr Berkenbusch sieht ein bisschen ausgemergelt aus. Irgendwo jenseits der 50, dünner Strickpullover, fisselige Haare, dünner Bart am Kinn. Immer wieder schiebt er sich eine alte Tabakspfeife in den Mundwinkel, dabei ist die noch nicht mal an.

Er zeigt seine Bilder, die er mal gemalt hat, sagt aber nicht viel dazu: „Hier, da, hier …“ „Sind das hier Maria und Martha?“ fragt Frau Frings und er zuckt nur mit den Schultern. René Berkenbusch ist einer, der seine Bilder nicht erklärt.

Aber er erzählt, wie er arbeitet: Er besucht die Gemeinde, guckt sich die Kirche und die Menschen an. Kann sein, dass er sich für 14 Tage eine Wohnung nimmt. Dann wächst das Bild in seinem Kopf. Und irgendwann fährt er nach Hause und mal es auf. In ein, vielleicht zwei Wochen.

Und René Berkenbusch lässt sich nicht vorschreiben, was er malen soll. Er ist ein Künstler, kein Ausmaler. Eine Kirchenvorsteherin versucht es, indem sie ins Allgemeine ausweicht: „Es wäre doch sehr schön, wenn das Bild eine positive Ausstrahlung hätte. Wir sind eine lebendige Gemeinde und so soll unsere Kirche auch aussehen.“ Ein Kirchenvorsteher ist da schon direkter: „Wir hatten jetzt seit fast hundert Jahren einen trostlosen Jesus am Kreuz. Und diesen Anblick wollen wir nicht wieder haben.“

Pastor Lehmann merkt sofort, dass René Berkenbusch Einmischungen auf die eine oder andere Art nicht passen. Wenn das so weiter geht, wird er noch ärgerlich. Aber das Gespräch ist eh bald zu Ende.

Nach zwei Stunden bricht der Kirchenvorstand wieder auf. Auf dem Rückweg gehen sie noch was essen: „Ein interessanter Mann“ sagen alle. „Ein bisschen schweigsam. – Und sehr eigen.“

Schon bald zieht René Berkenbusch für drei Wochen in Pastor Lehmanns Gemeinde. Er kann da in einer Ferienwohnung leben. Er geht durch das Dorf wie ein Gespenst, er sieht, guckt und beobachtet und spricht kaum ein Wort mit den Menschen. Nicht mal grüßen tut er. Er besucht die Gottesdienste, die jetzt in der katholischen Kirche stattfinden, sitzt in der letzten Reihe mit verschränkten Armen, den Kopf ein bisschen zur Seite gelegt, als würde er dösen. Wenigstens hat er dabei seine Pfeife nicht im Mund.

Er macht lange Spaziergänge durchs Umland. Steht eine Stunde lang am Stehtisch vom Bäcker am Einkaufszentrum. Ab und zu macht er sich Notizen in sein Heftchen, aber zeichnen sieht man ihn nie.

Sprechen tut er mit den Bauarbeitern, die an der Kirche arbeiten. Durchschreitet die Räume. Von Pastor Lehmann lässt er sich die Bilder zeigen: Wie soll der Altar aussehen, welche Farben haben die Stühle, die Decke, die Wände.

Und schließlich nach drei Wochen verabschiedet er sich und fährt wieder nach Hause. Wann ist das Gemälde fertig? René Berkenbusch nennt einen Termin. Und muss ihn dann noch zweimal verschieben. „Mir ist was dazwischen gekommen.“ Und: „Mir ist was Dringendes dazwischengekommen.“

Und dann steht Pastor Lehmann in der Kirche. Draußen fährt ein Lieferwagen vor. René Berkenbusch und drei Helfer steigen aus, das Bild ist mit Papier verkleidet. Klein und dünn sieht der Maler aus: „Gehen Sie mal eine Runde spazieren, bis wir das Gemälde an der Wand haben. Ich bin da, wenn sie wiederkommen.“ Und Pastor Lehmann geht rüber in seine Wohnung und da die ganze Zeit auf und ab. Er kann die Spannung nicht aushalten. Endlich klingelt sein Telefon. „Alles ist fertig.“

Er geht hinüber. Draußen fängt es schon an, dunkel zu werden. In der Kirche ist es duster. Nur die Strahler, die das Altarbild beleuchten, sind an. Pastor Lehmann sieht das Bild und muss sich setzen.

Groß und mächtig erhebt sich hinter dem Altar das Bild von dem Gekreuzigten. Grau und braun und schwarz sind die dominierenden Farben. Der Gehenkte blickt bleich und todesnah. Die Lippen fest geschlossen. Die Augen groß und flehentlich, und stark und fast gebrochen. In den Augen alles, was ein Mensch empfinden kann.

Und der Maler kaut an seiner Pfeife. „Wir wollten doch einen fröhlichen Christus“ fährt es aus Pastor Lehmann heraus. „Das ist doch eine fröhliche Kirche. Wir sind eine lebendige Gemeinde.“ Der Maler zuckt die Achseln. „Hatte ich ja zuerst auch gedacht. Aber dann habe ich mich gefragt: Was brauchen Sie denn für einen Messias? Eine Lusche oder einen, der was abkann.“ Und Pastor Lehmann fehlen die Worte.

Probieren sie doch erst mal drei, vier Monate aus, wie Sie predigen, wenn Sie diesen Jesus im Rücken haben. Wie die Gemeinde betet, wenn dieser Jesus zu ihnen rüberschaut. Und dann telefonieren wir noch mal.“ Und René Berkenbusch nimmt seine Pfeife aus dem Mund, grinst, klapst Pastor Lehmann aufmunternd an den Oberarm und geht pfeifend aus der Kirche zu seinem Lieferwagen.

Pastor Lehmann bleibt noch fast eine Stunde sitzen. So lange, bis seine Frau nach ihm sehen kommt. Als sie das Bild entdeckt, sagt sie „Huch, das wolltet ihr haben?“ Lehmann rollt die Augen. „Er wollte keine Lusche malen.“

Der Kirchenvorstand ist nicht eben begeistert. Das Bild ist ja nun so vollkommen an ihren Vorstellungen und Wünschen vorbei. Da ist es schwer ihm eine Chance zu geben. „Warten wir mal den ersten Sonntag ab.“

Der erste Sonntag kommt und auch die Einladung, sich das Bild noch einmal genauer anzuschauen. „Also schön ist es nicht“ da ist man sich recht schnell einig. „Aber Schönheit ist ja nicht alles. Ich meine alles für ein gelungenes Altarbild.“

Der guckt wie einer aus dem Arbeitslager.“, so traurig, so verzweifelt. „Der guckt entschlossen, fast verbissen.“ Mitleid, Liebe, alles. Und das eine schließt das jeweils andere nicht aus.

Das Bild gefällt mir besser, als ich es auf den ersten Blick dachte“ sagt eine Frau und etliche nicken. Ein starkes Bild.

Wollt ihr eine Lusche oder einen Heiland, der was aushält?“ Zum ersten Mal kann sich Pastor Lehmann anfreunden mit dem neuen Jesus.

Wie predigt es sich mit diesem Bild im Rücken? Es ist an sich gar nicht so schlecht. Es ist eine leichte und frohe Predigt. Und hinter ihm der Jesus bürgt für alles Ernst und Schwere – wenn es denn nötig ist.

Wie betet es sich? Dieser Jesus kennt alles Harte, die tiefste Finsternis – keine Klage ist ihm fremd. Aber es ist kein trübsinniger Gott. Jesus hängt dort für das Leben, für die Liebe. Das macht den Unterschied. Pastor Lehmann kommt damit gut zurecht.

Dann war das erste Mal Kindergottesdienst. Die Kinder haben Blumen gepflückt und auf den Altar gestellt. Er hat ihnen Leid getan, der Jesus. Sie wollen von jetzt an immer Blumen haben beim Kindergottesdienst.

Frau Frings hat sich den Kirchenschlüssel geholt. Sie wollte einfach mal etwas Zeit in der Kirche verbringen. Das hat sie früher nie getan.

Und mit der Zeit gewöhnt man sich daran und will das Bild nicht wieder hergeben.

Und der Kirchenvorstand beschließt, nicht einstimmig, aber immerhin, dass das Bild jetzt endgültig hängen bleiben soll. Pastor Lehmann soll dem Maler sagen, dass die Gemeinde zufrieden ist mit seiner Arbeit. Also ruft er an auf dem Resthof im Emsland mit den vielen Katzen.

Kann ich mal den Herrn Berkenbusch sprechen“ fragt Pastor Lehmann. „Das wird nicht gehen“ sagt man ihm. „Er war sehr krank, und letzte Woche ist er gestorben.“

Was brauche ich für einen Messias? Eine Lusche oder einen, der was abkann? Die Frage ist wohl ein für allemal beantwortet“, denkt sich Pastor Lehmann.

Es ist vollbracht.“

Amen.

Wie gesagt: Diese Predigt war eine Geschichte. Ich habe mir das alles ausgedacht: Pastor Lehmann und seine Gemeinde. René Berkenbusch und seinen Resthof im Emsland. Und auch das Altarbild mit dem Jesus habe ich mir ausgedacht. Wobei ich dafür eine kleine Anregung hatte.

In der Friedenskirche in Unterlüß im Landkreis Celle da gibt es ein Altarbild, das hätte auch ein René Berkenbusch gemalt haben können. Vielleicht könnt ja irgendwann einmal nach Unterlüß fahren und euch dieses Bild in echt angucken.

Hier gibt es schon mal ein Foto zu sehen:

Altarbild in der ev.-luth. Friedenskirche in Unterlüß; aufgeklappt „Kreuz“.

Künstler: Werner Petzold. Foto: Kirchengemeinde Unterlüß .

Und unter diesem Link können Sie mehr über das Unterlüßer Altarbild und über Werner Petzold erfahren.

Sonntags und an Feiertagen finden Sie einen anderen Gebetsablauf und eine kurze Predigt auf dieser Seite und auf den Seiten der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können mit Hilfe dieses Ablauf allein oder mit der Familie einen Gottesdienst feiern. Für all das läuten als Startsignal von 10 bis 10.15 Uhr die Glocken in allen drei Kirchen.

Mein Opa hat aber gar kein Internet“? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen, zu verlinken oder sie anderen am Telefon vorzulesen. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

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