25.3.2020 — Unter der Haut

Gedanken zum Tag

Man lebt ja weiter, auch in diesen Zeiten. Irgend-wann, ich mag es gar nicht sagen, ist einfach ganz regulär die letzte Rolle Klopapier im Plastikbeutel. Auweia, jetzt machst du mit, was scheinbar alle machen: der Kampf ums Klopapier. Warenlieferung in der Drogeriekette. Ja, denke ich, geh du mal früher als sonst einkaufen, damit du noch was abkriegst. Da stehe ich in einer Schlange vor dem Regal. Die Schlange wird immer länger. Und immer unruhiger: Wann packen die denn aus?! Da ist doch tatsächlich einer, der sich von links noch in die Schlange schummelt. Da kommt eine von rechts. Der sagen die anderen: Das Ende der Schlange ist dort hinten. Sie kümmert sich nicht darum. Die Menschen werden unruhiger, Argwohn macht sich breit: wehe, wenn sich jetzt noch wer dazwischen drängeln will. Ich spüre den Einkaufswagen hinter mir. Er nähert sich meinen Fersen. Wenn der mich berührt, dann … dann platze ich und werde laut. Ich warte. Wie alle. Die Zeit wird lang und länger. Die Luft wird dicker. Die Stimmung auch. Nee, denke ich, ich geh wieder raus. Das mache ich nicht mit. Nein, das machst du nicht, du hast jetzt so lange gewartet, jetzt ziehst du das durch. Und dann, dann nimmst du dir fünf Pakete mindestens. Um nicht wieder in so eine Situation zu kommen. Wie dicht das Tier unter meiner Haut schlummert. Der Säbelzahntiger der Selbstbehauptung – auch unter meiner Haut. Wenn ich ehrlich bin: wie schnell bin ich bereit, alles zu vergessen, was ich gelernt habe … Als ginge es ums Überleben, dabei ist es bloß Klopapier. Ich bin erschrocken über mich selbst. Die Verkäuferin lässt uns nicht auf das Regal zustürzen, sondern teilt jedem ein Paket aus. Die Kluge. Ich danke ihr dafür.
In der Schlange stehen müssen. In der Masse sich behaupten müssen. Die anderen beargwöhnen, potentielle Feinde. Es beginnt am hellichten Tag in einem Einkaufsladen und spitzt sich biblisch gesehen zu auf dem Passionsweg, der mit einem Kreuz endet. Dicht unter der Haut, der Säbelzahntiger, der noch nicht gemerkt hat, dass es im Leben um mehr geht als um Klopapier. Wär doch nett, zur Nachbarin zu gehen. Macht man doch sonst auch, wenn einem ein Ei fehlt oder ein Löffel Mehl. Hast du mal…Und sie gibt es gern.
Ich bitte Gott um Vergebung, dass ich auch den Tiger in mir kenne. Und dass ich im wirklichen Ernstfall auch nicht meine Hand für mich ins Feuer legen könnte. Das mache ich, sagt Gott mir dann. Ich ging für dich durchs Feuer, damit du weitergehst. Mensch bleibst.

Pastorin Susanne Ackermann
St. Johannis Dannenberg
März 25.3.2020