Gedanken zum Tag
Abends um halb acht am offenen Fenster, zur Straße hin, eine Kerze leuchtet hinaus in die Welt. Beten für die Menschen hier und anderswo. Beten für die, die man lieb hat und für die, die man nicht kennt. Beten für die, die in finanzielle Notlage und Schieflage geraten. Beten für die in der Klinik, die in den Betten liegen und die, die da sind, um zu helfen. Beten für die, die sich nicht sehen und nicht in die Arme schließen können. Am offenen Fenster stehen und beten, segnen und Gott ans Herz legen. Ich merke, wie lieb sie mir sind, die Menschen von hier, wenn ich ihre Namen nenne. Auch da geschieht ganz Merkwürdiges. Mir fallen Namen von Menschen ein, die sonst in tiefer Versenkung des Hirns verschwunden sind und jetzt ganz unüberlegt auftauchen. Merkwürdig, wie weit das Geflecht von Beziehungen reicht. Hätte ich nie gedacht! Am offenen Fenster.
„Man sieht gar nicht, dass ihr da seid!“ sagt eine und beklagt, dass die Kirche gerade jetzt so wenig sichtbar ist. Und dass die Kirche nicht geöffnet ist, so dass man mal fix hinein kann, um sich Gott näher zu fühlen. Ja. Das ist auch in Zeiten von Internet und facebook schwer zu ertragen. Ich kann es verstehen. Wir halten uns fern und sind füreinander da. Das ist schwer zu verstehen.
„Können wir auf ne Tasse Kaffee vorbei kommen? – Wer ist wir? – A. und ich. – A. ist aus Barcelona in Spanien gekommen. – Ich möchte heute nicht.“ Und ich fühle mich bei der Absage nicht wohl in meiner Haut. Mitmenschlich, freundschaftlich geht das doch gar nicht! Wie bist du denn drauf? Du gibst deiner Sorge mehr recht als der Freundschaft zu anderen? Falsche Alternative, denke ich später. Man kann es nicht gegeneinander ausspielen. Beides ist wahr. Nebeneinander. Wir halten uns fern und sind füreinander da. Wir kündigen ja die Freundschaft nicht auf, sondern nehmen sie ernst. Freundschaft hält das aus. Mir fällt der Garten ein, in dem Jesus sich von seinen Freunden entfernt. Bleibt hier und wacht mit mir. Und dann geht er einen Schritt weiter und lässt sie zurück. Damit er ihnen nahe sein kann. Damit er tun kann, was getan werden muss. Für sie alle.
Am offenen Fenster treffen wir uns, einander und Gott auch.
Pastorin Susanne Ackermann
St. Johannis Dannenberg
23. März 2020