Kleine Predigt für den Sonntag Lätare am 22. März 2020

Wie in Mutters Schoß

Das Baby schreit wie am Spieß. Eben hat es bloß ein bisschen rumgequakt. Aber jetzt brüllt es mit voller Kraft. Die kleinen Fäustchen sind geballt, die Augen fest zusammengekniffen, die kleine Fratze puterrot. Der Schnuller wird gleich wieder ausgespuckt. Es ist Alarm.

Die Mutter ist abgekämpft und genervt. Eigentlich wollte sie es noch bis nach Hause schaffen. Eigentlich wollte sie ganz in Ruhe… Doch jetzt sitzt sie mitten in der U-Bahn. Überall sind Leute. Sie knöpft ihren Mantel auf und auch die Bluse und sie legt ihr Baby an.

Sofort ist Ruhe. Nur wer genau hinhört, der hört das Baby schmatzen. Langsam bewegt das Kind die Finger. Traumverloren schaut es nach seiner Mama und schließt dann wieder die Augen.

Es gibt nichts, aber auch überhaupt gar nichts, was dieses Kind jetzt stört: Nicht das Rattern der Bahn, nicht das Glotzen der Leute. Es gibt nichts, was ihm jetzt fehlen würde. Kein Schloss, kein Gold und keine Millionen. Kein Ruhm, kein Applaus und kein Lob vom Chef. Das absolute wunschlose Glück. Die pure, ungetrübte Freude.

Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so gefühlt habe. So sorglos, glücklich und froh. Ich glaube, wir Erwachsenen sind alle Vertriebene aus dem Paradies. Gibt es dahin noch mal einen Weg zurück?

Der Predigttext für diesen Sonntag legt das nahe:

Der Prophet Jesaja 66, 10-14: „Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.

Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen.

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.“

Die Israeliten hatten schon viel durchgemacht, bis sie diese Worte hörten. Die Babylonier hatten das Volk Israel bis in das Gebiet desheutigen Irak verschleppt. Jerusalem war im Krieg zerstört worden. Der Tempel niedergerissen. In der ehemals so stolzen Stadt tummelten sich jetzt die wilden Tiere.

Aber auch Babylons Herrschaft währte nicht ewig. Gerade erst hatten die Perser die Babylonier besiegt. Und der persische König erlaubte den Israeliten die Rückkehr in ihre alte Heimat. In ihre alte, wundervolle Stadt Jerusalem.

Da dachten sie, jetzt würde alles wieder gut werden. Friede würde sein und das gute Leben würde wieder zurückkehren. Und die Israeliten würden wieder glücklich und ohne Sorgen leben. Wie ein Baby an der Brust seiner Mutter. Wie ein kleines Kind, das im Schoß seiner Mutter gehalten wird. In ihren Armen, umhüllt von ihrer Wärme und von ihrem Duft. Da ist alles Schlimme vergessen. Da gibt es nichts mehr, was einem Angst machen könnte. Ein schönes Bild.

Ob das wirklich jemals so gewesen ist? Oder war das nur ein Traum der Israeliten, als sie in Babylon ihre Koffer packten? Als sie sich bereit machten, für den weiten und beschwerlichen Rückweg nach Jerusalem?

Denn Jerusalem und der Tempel waren ja immer noch zerstört. Das Land lag am Boden. Zuerst einmal wartete gewaltig viel Arbeit auf die Heimkehrer. Dann war das Land ja nicht unbewohnt. Erstmal waren ja nicht alle Israeliten nach Babylon entführt worden. Und die Babylonier hatten Fremde im Land angesiedelt. Das würde Streit geben. Man würde sich ganz neu zusammenraufen müssen. Außerdem war Israel ja jetzt kein freies Land mehr wie vor den Babyloniern. Israel war jetzt ein Vasallenstaat der Perser. Und danach würden die Griechen kommen. Danach die Römer. Dieses kleine Land zwischen Mittelmeer und Wüste war immer schon ein unruhiges Pflaster und ein Zankapfel zwischen seinen mächtigeren Nachbarn.

Wahrlich kein guter Ort, um sorglos zu sein wie ein Baby. Wenigstens wenn man kein Baby mehr ist.

Aber die Israeliten, die sich auf den Weg nach Hause machten, freuten sich. Sie waren frohen Mutes. Sie bauten den Tempel wieder auf. Sie schrieben die Geschichte ihres Volkes mit Gott auf und sie wurden treu und fest im Glauben.

Sie schafften etwas, was damals kaum einem Volk in der Antike gelang: Sie bewahrten sich ihren Glauben, ihre Identität und ihre Kultur, obwohl die anderen Völker um sie herum politisch viel mächtiger und erfolgreicher waren. Sie hielten zu ihrem Gott, anstatt den vielen Göttern der anderen nachzulaufen. Götter, von denen heute kaum noch einer den Namen kennt.

Sie vertrauten auf Gott, obwohl das sinnlos erschien. Und sie taten gut daran. Sie vertrauten fest und sie vertrauten blind, auch wenn immer auch mal wieder schlimme Zeiten kamen. Sie benahmen sich manchmal wie ein kleines Kind, das von seiner Mutter alles bekommt, auch wenn um sie herum der Sturm tobt.

Natürlich haben die Israeliten danach immer wieder auch Not erlebt, allergrößte Schrecken und tiefste Zweifel und Zerrissenheit. Aber eben immer auch wieder diese innigen, seligen Momente, in denen zwischen ihnen und Gott alles stimmte.

Aber ist das eben nicht das Besondere an uns Erwachsenen – dass wir immer weiter denken? Dass wir uns fragen: Und was kommt dann? Wird das Kind, wenn es einmal groß ist, es auch einmal so gut haben wie wir? Wird es das Baby mit Corona oder möglicherweise noch viel schlimmeren Seuchen zu tun bekommen? Kann es auch in Wohlstand leben so wie wir? Oder in einer Umwelt, die noch so voller Leben ist wie unsere? Wird es für unsere Kinder noch genügend Arbeitsplätze geben? Zeit und Gelegenheit für richtige Freundschaften? Das sind Fragen über Fragen.

Aber wer wie die alten Israeliten auf Gott vertraut, der kann diese Fragen auch mal hintenan stellen. Durchatmen. Sich mit Hoffnung stärken. Und dann mit neuer Kraft wieder durchstarten.

Wir Erwachsene sind alle Vertriebene aus dem Paradies. Aber wenn ich glaube und wenn ich bete, dann geht diese Tür zum Paradies manchmal noch mal einen kleinen Spalt auf. Und ich merke, was Gott für uns geplant hat. Wohl nicht in dieser Welt, aber später. Und da erahne ich das, was ich noch von frühester Kindheit kenne: Irgendwann wird alles gut.

Amen.

Und der Geist Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.

Euer Pastor Jörg Prahler

Foto: Lydia Margerdt / pixelio.de

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