Pfingsten – Gott weckt Fähigkeiten

Er war einer von den Schüchternen. Im Unterricht hat er kaum den Mund aufgemacht. Gemeldet hat er sich nie. Jedes Wort musste ich ihm quasi aus der Nase ziehen. Seine ganze Haltung zeigte: Sprich mich nicht an! Lass mich in Ruhe! Und dann gab es für ihn im Unterricht eines Tages eine andere Aufgabe: Spiele pantomimisch – ohne Worte und Geräusche – ein Schaf, das sich verlaufen hat, das in der Gegend herumirrt, das gesucht und erst nach langer Zeit gefunden wird. Mit einem Mal sah ich einen ganz anderen Menschen. Lebendig. Ideenreich. Mit Witz. Locker. Kaum ein anderer aus der Gruppe hätte sich getraut, sich so in die Rolle hinein zu geben. Kaum ein anderer hätte so frei gespielt. Was die anderen dachten: Ganz egal. Was sie zu ihm sagen würden: Spielte keine Rolle. Ich sah einen völlig anderen Menschen. Besser gesagt: Ich sah, was in diesem Jugendlichen auch steckt, was aber bisher verborgen war, was keinen Raum hatte, sich zu zeigen. Mehr als zehn Jahre ist das her. Und ich habe es bis heute nicht vergessen. Beim ersten Pfingstfest haben die Freunde Jesu genau das erlebt. An Karfreitag war Jesus gekreuzigt worden. An Ostern hatte er sich ihnen als Lebendiger gezeigt. Trotzdem hatten sie sich seitdem ängstlich verkrochen. Kein Wort des Erlebten kam aus ihrem Mund. Aber 50 Tage danach, an Pfingsten, finden sie mit einem Mal Mut und Worte, um von dem zu erzählen, was sie mit Jesus erlebt haben. Sie gehen an die Öffentlichkeit und sagen, was ihnen Jesus bedeutet: Er macht unser Leben heil. Gleichzeitig wundern sich die Freunde Jesu über sich selber. Sie fragen sich: Wo kommt plötzlich der Mut her? Wieso finden wir die richtigen Worte? Sie sind sich sicher: Da muss Gott seine Hand im Spiel haben. Gottes Geist hat diese Fähigkeiten in ihnen frei gesetzt. Pfingsten feiern wir in der Kirche genau das: In Menschen kann frei werden, was an guten Gaben in ihnen steckt aber bislang verborgen war. Gott macht das mit seinem Geist möglich.

Worte der Besinnung zum Pfingstfest
Klaus-Markus Kühnel
Pastor in Dannenberg