Worte zur Besinnung in der EJZ vom 4. März 2023
Seit über einem Jahr tobt nun schon der Krieg in der Ukraine. Zigtausend Tote hat der russische Angriff bereits gekostet, und so wie es aussieht, werden noch über Monate und Jahre unzählige Opfer hinzukommen.
Ich möchte nicht in der Haut der Menschen stecken, die in den letzten Monaten so schwierige und weitreichende Entscheidungen treffen mussten: Was können wir tun? Sollen wir Waffen liefern? Und wenn ja: welche? Ich glaube, dass die meisten dieser Entscheidungen nicht leichtfertig getroffen wurden.
Auch die Kirchen machen es sich nicht leicht, sich zu positionieren, und so vielschichtig, wie die Erzählungen in der Bibel sind, so unterschiedlich sind auch die Schlussfolgerungen, die wir daraus ziehen.
Mich persönlich begleitet die Bergpredigt im Matthäusevangelium immer wieder in unterschiedlichen Lebenssituationen und in den letzten Monaten umso mehr. Sie ist eine utopische Vision Jesu, die deswegen gerade auch in Kriegszeiten immer wieder belächelt worden ist. Ja, Sätze wie „leistet keine Gegenwehr, wenn man Euch Böses antut“ wirken zynisch, wenn man sie aus sicherer Entfernung einem Überfallenen zurufen würde und dann weiterginge.
Ist die Bergpredigt – und besonders dieser Satz – dann nur etwas für Schönwetter-Sonntagspredigten? Ich denke: Nein. Denn was Jesus da fordert, ist eigentlich das Unerwartete, Undenkbare, fast schon Unerhörte – etwas, womit ein Angreifer erstmal nicht rechnet: Nämlich das Ausbrechen aus der üblichen Eskalationslogik, wo sonst der Zweck schnell die Mittel heiligt und man allein deswegen über den Einsatz von Streubomben und Phosphor-Brandwaffen diskutiert, weil der Gegner sie ja schließlich auch einsetzt.
„Leistet keine Gegenwehr“ ist von daher im übertragenen Sinn ein Aufruf, einmal ganz anders und neu zu denken, jenseits eines vermeintlich alternativlosen „Weiter so“. Aber er ist auch eine Zumutung, weil Neues auch Ungewissheit bedeutet. Im Englischen gibt es für diesen Weg ins Ungewisse den Begriff „Leap of Faith“ – einen „Sprung des Glaubens“. Der braucht Mut und Fantasie, keine Frage. Aber das ist es, was Jesus uns zumutet – und auch zutraut. Und dann können wir es uns auch zutrauen, zumindest einmal darüber nachzudenken.
Frederik Holst, Diakon aus Kolborn