Ein kleines Licht am 25. März

Alles ist wichtig!

Als ich so ungefähr 16 Jahre alt war, da machten wir in der Unterlüßer Kirchengemeinde eine Jugendgruppe auf. Wir, das waren Christian, Frank, Bernd und ich. Wir vier hatten alle zuerst kaum Erfahrung. Aber wir haben uns richtig viel Mühe gegeben.

In den ersten Wochen haben wir alle Aufgaben während einer Gruppenstunde genau gleich unter uns aufgeteilt. Einmal machte ich die Andacht, einmal Christian, danach wieder ein anderer. Einmal bereitete Frank die Spiele vor, einmal Bernd, dann Christian und so weiter. Jeder sollte irgendwann mal mit allem drankommen. Sehr schnell haben wir diesen Gedanken wieder aufgegeben.

Folgendes stellte sich heraus: Es klappte viel besser, wenn jeder von uns das machte, wozu er Lust hatte und was er sehr gut konnte: Frank kümmerte sich also um die Spiele. Christian sorgte für gute Laune. Ich machte die Andachten. Und Bernd? Der kümmerte sich um das Praktische und um die hoffnungslosen Fälle.

Bernd war bei uns Vieren eher der zurückhaltende Typ. Er drängte sich nicht gern in der Vordergrund. Er redete selten mehr als nötig. Doch wenn er etwas sagte, dann hatte das Hand und Fuß. Und Bernd war immer da, wenn man ihn brauchte.

Vor allem für die hoffnungslosen Fälle: Einmal hatten wir beim Fußball spielen unseren Ball oben in die Eiche geschossen. Wir hatten keine Leiter und der erste Ast ging erst in über drei Metern Höhe von dem Stamm ab. Eigentlich ein hoffnungsloser Fall. Also kletterte Bernd bei einem von uns auf die Schultern. Von dort aus kriegte er einen herunterhängenden Zweig zu fassen. Den zog er runter bis er an einen Ast kam, der ihn tragen konnte. Er hängte sich daran und hangelte sich den Ast entlang bis an den Stamm. Von dort aus konnte er dann von Ast zu Ast ungefähr zehn Meter weit nach oben klettern. So holte er uns unseren Ball zurück. Eine Wahnsinnstat – macht das bloß nicht nach! – aber sonst wäre das ja auch kein hoffnungsloser Fall gewesen.

Die 200 Jahre alte Eiche am Unterlüßer Gemeindehaus. Foto: Wilfried Manneke

Ein anderes Mal sind wir auf einer Sternwanderung mit vielen anderen Jugendgruppen nach Bemervörde gewandert. Am Vörder See wollten wir uns mit etwa 200 anderen Jugendlichen an einem Grillplatz treffen. Und eigentlich wollten wir dort in den Grills ein Feuer machen und dann für alle Nudeln kochen. Leider waren die Kohlefächer unter dem Bratrost mit einem Vorhängeschloss abgeschlossen und keiner hatte einen Schlüssel. 199 Leute wussten nicht, was sie machen sollten.

Aber Bernd brachte das folgende Kunststück zustande: Er stopfte zuerst trockenes Gras durch den Grillrost und warf einen Streichholz hinterher. Das Gras begann zu brennen. Danach ließ er ganz dünne, danach fingerdicke Stöckchen durch den Grillrost fallen. Dickere Zweige passten ja überhaupt nicht durch den Rost durch. Damit kriegte Bernd ein richtiges Feuer in Gang. Am Ende haben wir nach und nach unsere großen Nudelpötte auf den Grill gestellt. Und wir haben mit ungefähr 200 Leuten Spaghetti mit Ketchup gegessen. Keiner außer Bernd hätte das sonst geschafft.

Und das waren nur zwei Beispiele von vielen. Bernd kannte sich aus, wie man Sachen flickt, die kaputt gegangen waren. Ihm vielen Lösungen für allerlei Probleme in allen möglichen Lebenslagen ein. Für uns damals war das wichtig, weil wir oft im Freien unterwegs waren. Auf Wanderungen, im Wald, auf Reisen unter einfachen Bedingungen, wo wir uns irgendwie behelfen mussten.

Ich weiß gar nicht, ob heutzutage solche praktischen Begabungen überhaupt noch richtig geschätzt werden. Wer muss heute schon fernab von der nächsten Ortschaft irgendwo im Wald klar kommen? Wer wandert zwei Wochen durch die Wildnis in Norwegen ohne Handyempfang und ohne Telefon?

Heute kommt es doch mehr darauf an, dass sich einer gut mit Computern auskennt. Zugehört wird derjenigen, die gut reden und sich gut verkaufen kann. Karriere machen die, die studiert haben. Weil sie schwierige Texte gut verstehen und noch schwierigere Texte selber schreiben können.

Am besten, man benutzt nur seinen Kopf und studiert. Und wer eine Lehre macht, der will am liebsten ins Büro. Lehrstellen im Handwerk bleiben öfters unbesetzt. Viele Betriebe finden keinen Nachwuchs mehr.

Ist das richtig so? Für meinen Geschmack wird die Kopfarbeit zu hoch geachtet und die Handarbeit zu niedrig. Dabei ist es doch am besten, wenn Kopf und Hand zusammenarbeiten. Wenn jedes Talent und jede Begabung geschätzt und gefördert würden.

Im Neuen Testament gibt es ein schönes Bild dafür: Eine Gemeinde soll wie ein Körper sein, heißt es im 1. Korintherbrief in Kapitel 12. Ein Körper hat viele verschiedene Körperteile mit vielen verschiedenen Aufgaben. Kein Organ, kein Körperteil ist wichtiger als die anderen. Denn nur wenn alles mit allem gut zusammenarbeitet, ist der Körper gesund.

Deshalb haben wir Menschen zwar unterschiedliche Begabungen, aber gerade diese Verschiedenheit ist auch unsere Stärke. Jeder kann seinen Beitrag leisten zum Wohle der Gemeinschaft. Und manche Fähigkeiten, die einem zur einen Zeit überflüssig oder unwichtig erscheinen, können später mal sehr wichtig werden.

In besonderen Situationen fällt einem das besonders auf. Zum Beispiel jetzt in einer Krise, in der keiner so genau weiß, wie es weitergeht. In so einer Zeit wüsste ich einen wie Bernd gerne in meiner Nähe. Einen fürs Praktische. Und für die hoffnungslosen Fälle.

Unser Vierergespann in der Jugendgruppe hat eine Zeit gehalten. Aber irgendwann haben Bernd und Frank und Christian mit der Jugendgruppe aufgehört. Ich bin dabei geblieben. Ich habe weiter die Andachten gemacht, so gut es ging die Spiele ausgesucht und für gute Laune gesorgt. Was das Praktischen anging, mussten wir von da an improvisieren. Und hoffnungslosen Fällen bin ich lieber aus dem Weg gegangen.

Als ich ins Studium ging, habe ich die drei anderen ganz

aus den Augen verloren. Ich hoffe wirklich, es geht ihnen gut.

Das achte kleine Licht.

Bleiben Sie gesund. Werden Sie gesund.

Ihr Pastor Jörg Prahler

Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend hier und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.

“Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

Rückmeldungen, Fragen oder Anregungen gerne an joergprahler@gmx.de.