21.3.2020 — Entscheide du

Gedanken zum Tag

Bilder gehen durch die Medien: Party feiernde junge Leute auf einer grünen Wiese, im Hintergrund weiße Hochhäuser. Ja, sind die denn verrückt? Ohne Sicherheitsabstand, tanzend, küssend, in der Hand eine Flasche Sekt. Einer sagt: „Ich lebe. Ich will leben. Wir leben und wir wollen leben. Und das kann uns keiner verbieten!“ Und dann sieht man Bilder aus München vom Viktualienmarkt. Dicht an dicht sitzen die Menschen auf den Bierbänken, trinken Bier, Prosecco, ihren doppelten Espresso, was weiß ich. Fröhlich, munter, Frühlingserwachen. Ja, sind die denn verrückt? Wohl kaum. Ich kann sie verstehen. Das Lebensgefühl dahinter. Das Lebensgefühl, wenn die Sonne nach langer Grauheit wieder wärmt, wenn Frühling in der Luft liegt, wenn das Leben wieder erwacht, grüne Blätter treibt. Da will man raus, in die Sonne, sich treffen mit den anderen, über den Markt gehen und hier und dort andere sehen und selbst gesehen werden. Mensch, dich habe ich ja lange nicht gesehen! Das brauchen wir doch. Das ist doch nicht falsch. Nein. Natürlich nicht. Ganz und gar nicht. Auf Distanz gehen, ein Widerspruch der Freude an den Nächsten. Keine Familienfeiern, keine Besuche bei den alten Eltern gerade jetzt, kein tröstliches Händeschütteln bei den Trauerfeiern auf den Friedhöfen. Das widerspricht doch unserer Liebe zu den anderen. Ja. Tut es. Und dass wir dieses Widersprüchliche erleben, das ehrt uns. Wenn uns die körperliche Nähe zu anderen fehlt.
Das Leben kann mir keiner verbieten, sagt der junge Mann. Und er fühlt sich eingeschränkt. Ausgeliefert an Bestimmungen und Verordnungen, für die er nicht gefragt wurde. Annehmen, was man nicht ändern kann. Wie schwer ist das!
Es hilft nicht, sich dagegen zu wehren, also entscheide ich mich dafür. Ja, ich kann mich entscheiden, ob ich es bloß passiv erdulde oder ob ich es mitmache, mitgestalte. Mir fällt die Szene aus einem Garten ein. Ein verzweifelter Mensch betet: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe, Gott.“ Das ist nicht gottergebenes Erdulden. Nicht Gott wird’s schon richten. Sondern, da hat sich einer entschieden, ist nicht passiv geblieben, überrollt von dem, was man nicht ändern kann. Er hat sich entschieden. Und das macht ihn stark, stärker als er ist. Er ist nicht länger ausgeliefert. So hält Gott seine Hand über ihn. Immer.

Pastorin Susanne Ackermann
St. Johannis Dannenberg
21. März 2020