Ein Gespräch zum Abschied von Propst Stephan Wichert-von Holten über Veränderungen und Zusammenhalt und den Aufgaben, vor denen die Kirche steht – und er selbst.
Stephan, Du gehst. Ich finde das echt immer noch eine krasse Vorstellung, nach, ich weiß nicht wie vielen Jahren oder Jahrzehnten?
Oh, wenn man über Jahrzehnte spricht, dann wird das ja richtig peinlich. Also es sind Gott sei Dank keine zwei.
Was hast Du damals 2008 für ein Gefühl gehabt, in so eine Stelle von zwei gerade fusionierten Kirchenkreisen zu gehen? Waren das eher so zwei nebeneinander her lebende Kirchenkreise vorher? Oder gab es da vorher schon Überschneidungen, auf denen Du aufbauen konntest? Oder was war das für eine Form von Zusammenwachsens?
Das war mir zumindest nicht fremd. Ich hatte in meiner ersten Pfarrstelle eine Kirchengemeinde, die in drei Landkreisen zu Hause war. Und auch drei Frömmigkeitstypen. Und damals war es schon meine Aufgabe, daraus etwas zu machen, was eine Wesenseinheit wird, ohne die Leute zu verbiegen. Und hier habe ich etwas Ähnliches vorgefunden. Mit einem Unterschied, dass es hier schon eine sehr eingeübte Form gab, dass die Leute, die zusammen etwas machen wollen, die machen das zusammen. Und es gab eine ganz große Bereitschaft, diesen Prozess des Kirchenkreises nicht als Abschluss von irgendeiner Aufgabe zu nehmen, sondern jetzt geht es erst richtig los. Und das ist eigentlich auch der Grund, warum ich gekommen bin. Also mich hat erstaunt, dass Leute, die etwas so umgesetzt haben, jetzt immer von Anfang sprechen und nicht von fertig. Und wie man jetzt sieht, ist das mit der Kirchenkreisfusion ein fürchterlicher Trugschluss gewesen, wenn man gesagt hätte, das haben wir jetzt schon hinter uns, wir können das, und jetzt kann ja uns nichts mehr passieren. Also das habe ich hier nie getroffen.
Also Du kamst in eine Fusion und gehst jetzt quasi, wo die nächste Fusion ansteht.
Und das hat auch einen Grund. Ich bin nach dem Abschluss einer Fusion gekommen, die noch nicht ganz abgeschlossen war, es war noch einiges zu tun, und konnte darin gestalten. Und genau das gönne ich wem auch immer, oder wer auch immer mir nachfolgt. Ich möchte nicht, dass ein alter, weißer Mann jetzt an irgendetwas rumbastelt, was er nicht mehr mit Leben füllen muss.
Apropos Leben, in Deinem normalen, privaten Leben, was für einen Kinofilm oder Theaterstück hast Du als letztes geschaut?
Theaterstück ist einfacher. Das letzte Theaterstück, das ich gesehen habe, war Shakespeare, Taming of the Shrew, „Die widerspenstige Zähmung“. Ich habe es genossen. Ich liebe Shakespeare, ich liebe Theater. Ich bin jetzt gerade ganz heiß darauf, nach Lüneburg zu fahren, weil da der Sommernachtstraum wohl auf eine wunderbare Art und Weise inszeniert wird.
Wenn ich die beiden Titel so höre, „Die widerspenstige Zähmung“ und Sommernachtstraum, passt eins von beiden zu dem anstehenden Fusionsprozess?
Stephan: Sie passen sogar, glaube ich, sehr gut. Es gibt in beiden Stellen auf unterschiedliche Art und Weise Szenen, in denen Menschen sich selber oder sich gegenseitig ein X für ein U vormachen, das heißt unlauter sind. In der widerspenstigen Zähmung versucht gibt es ja diesen Akt, wo der Mann, der diese selbstbestimmte Frau zähmen möchte, sagt: Das ist die Sonne, nicht der Mond, mitten in der Nacht. Und der sich nicht zufrieden gibt, dass sie sagt, nein, das ist der Mond. Ich finde es unlauter, wenn wir unehrlich Versprechungen machen, die einfach etwas umdefinieren und als schön oder anders erklären, aber die sich nicht leben lassen. Die der Lebenswahrheit und der Lebensweisheit widersprechen.
Das zweite ist in die viel lustigere Szene beim Sommernachtstraum, wo ein Laiendarsteller, vor der großen Majestät auftritt und eine Mauer darstellen soll, und er zeigt eigentlich so mit vier Fingern diesen Mauerspalt, durch den sich das Liebespaar dann unschädlicherweise unterhält und erklärt, dass er nur eine Mauer ist und die Darstellung nicht bedeutet, dass diese Mauer sie trennt, sondern gerade im Gegenteil. Dieses kleine Loch und die Mauer selber sind die große Verbindung dazwischen. Zwischen Menschen Mauern zu bauen, bedeutet, die Mauer als etwas zu erkennen, was es zu überwinden gibt, was es zu durchdringen gibt, wo das Leben durchfließen kann und nicht etwas, wo etwas endet. Im Moment befinden wir uns in der Kirche in einer Situation, wo wir aus Verzweiflung manchmal den Mond mit der Sonne verwechseln. Und auf der anderen Seite müssen wir den Mauern ehrlich begegnen und versuchen, dadurch zu kommunizieren. Trotzdem haben wir nicht die Zeit, ganz lange zu erklären und große Umwege zu gehen. Das geht nicht mehr. Wir müssen uns den Mauern stellen, drum herum geht nicht mehr.
Ist das etwas, was Dich schon morgens, wenn Du aufstehst, beschäftigt?
Die ersten Gedanken am Morgen gelten seit über 38 Jahren meiner Frau. Und das wird auch immer so bleiben. Ohne sie beginne ich keinen Tag. Und ohne einen fröhlichen guten Morgen sind wir nie in einen Tag gestartet. Das hat früher Kraft gegeben und das macht es heute auch. Es gibt Gründe, warum ich auf viele schlaflose Nächte zurückblicke. Aber die haben ganz oft mit Sinnlosigkeit im Streit zu tun. Und mit dem, dass man Versöhnungsarbeit leisten müsste, aber es nicht funktioniert. Unter Umständen mit viel Verantwortung, die auf einen lastet, die größer ist als man selber. Aber niemals damit, dass man sich Sorgen um diese Kirche macht. Ich mache mir keine Sorgen um diese Kirche. Ich mache mir Sorgen um Menschen. Ich mache mir Sorgen um eine Gesellschaft.
Was hat Dich dazu bewogen, jetzt nicht einfach zu sagen, ich gehe in den Ruhestand? Was hat Dich dazu bewogen, noch mal zu sagen, ich gehe jetzt noch mal nach Hannover ins Landeskirchenamt. Und was machst Du da eigentlich?
Also als Erstes: ich bin noch nicht fertig mit dieser Kirche. Ich bin ja eigentlich Katholik, aber in der evangelischen Kirche habe ich gelernt, dass man Kirche als Person verändern kann und nicht der Kirche ausgeliefert ist. Also dieses reformatorische Versprechen von Luther haben wir auch nach 500 Jahren immer noch eingelöst. Wenn wir das nicht einlösen, dann nutzen wir es nicht. Aber man kann es. Man kann damit etwas bewegen. Das ist das Eine.
Das andere ist, dass das, was wir hier gemacht haben an Veränderungsprozessen, das hat ganz schnell Wellen geschlagen und ist dann woanders aufgeschlagen und wird dort auch ausprobiert. Das heißt, ich bin schon seit mindestens zwölf Jahren unterwegs und erzähle Leuten, was wir hier machen und versuche mit denen zu transformieren oder anzuwenden, ob das, was wir hier ausprobieren, bei anderen auch geht. Das hat zu vielen neuen Konzepten geführt. Und ich habe diese Arbeit schon lange gemacht und das ist eigentlich auch das, was ich zukünftig machen werde. Im Landeskirchenamt werde ich Referent für Transformationsfragen in Kirchengemeinden und in Kirchenkreisen sein.
Wir haben guten Grund, die Kirche aus sich selbst herauszuführen, damit sie den Menschen auf der Straße begegnen kann und nicht mehr in einer Erwartung, die Menschen kommen zu uns, sondern die Kirche gehört die Menschen unter. Das folgt in den Sozialraum. Sie gehört dahin, wo sie mit anderen etwas tut, nicht da, wo sie alleine groß und herrlich ist, sondern sie gehört dahin, wo sie sinnstiftend selber ist, durch andere. Und genau das wird meine Aufgabe sein, dafür Methoden zu ersinnen und Hürden wegzuräumen und die Menschen zu sagen, fürchtet euch nicht, es gibt einen Weg, es gibt auch noch etwas anderes. Und es geht nicht darum, dass man tausend Sachen ausprobiert, sondern es bedeutet, dass man das Vertrauen hat, dass auf der anderen Seite der Hürde immer noch Gott ist und man dann nicht alleine durch irgendetwas muss. Denn wir gehen als Kirche in einen Zeitraum des Unentschiedenen. Wie Kirche existieren wird, ist glaube ich nicht entschieden. Und etwas Unentschiedenes ist immer ein Abschied. Aber es gibt die Zusage Gottes, dass wir nicht zurückbleiben, sondern dass wir leben.
Gab es für Dich im Laufe der Zeit einen Moment, wo Du gesagt hast, das ist jetzt dran zu gehen und etwas Neues anzufangen?
Stephan: Ja, den gibt es. Ich hatte einen Auftrag, als ich hierher gekommen bin, der war einfach zu Ende. Und zwar ging es darum, diesen neuen Kirchenkreis, den zusammengeschlossenen Kirchenkreis, zu einer Einheit kirchlichen Lebens zu machen, die so gut zusammenhält und sich selber aufstellen und selber bewegen, selber motivieren kann, egal von wem sie irgendwann mal geleitet wird. Und dann war die Frage, was mache ich jetzt? Sind das jetzt Feinarbeiten? Es gibt immer einen Grund, irgendwo zu bleiben, wo man ist. Aber ich bin Flüchtlingskind, ich muss immer meine Sachen packen und noch mal unterwegs sein. Und so lange wie hier war ich noch nirgendwo, noch nicht mal dort, wo ich geboren bin.
Und wenn Du Dir deine Arbeit in Hannover vorstellst, gibt es da Dinge, wo Du sagst: da hat mich jetzt gerade diese Erfahrung, die ich hier in Lüchow-Dannenberg gemacht habe, so vorbereitet, dass ich das als Erfahrungsschatz mitnehme für die zukünftige Arbeit? Oder ist es was, wo Du eher sagen würdest, das war jetzt das, was hier passiert ist, und jetzt kommt etwas ganz Neues?
Stephan: Ich werde ungeheuer darauf achten müssen, dass ich nicht allen erzähle: in Lüchow-Dannenberg läuft das so.
(lacht) Im Guten oder im Schlechten?
Im Guten. Immer im Guten. Und vor allen Dingen auch im komplett anders Sein. Also es gibt kaum einen Kirchenkreis, der anders ist als andere. Und in der ganzen Landeskirche sagt man, ach so, Lüchow-Dannenberg, okay, da ist ja immer alles anders, die machen alles anders und die haben immer eine Idee. Und das, was ich hier kennengelernt habe und was mir ungeheuer Mut gemacht hat, sind zwei Sachen: Das eine ist, wenn wir Probleme haben oder hatten, haben wir dafür Lösungen ersonnen und haben nicht angefangen zu jammern. Das Zweite ist, die Gruppen oder Kirchengemeinden, von denen man dachte, warum machen die nicht mit, die sind ja langweilig, die haben im Endeffekt immer alle anderen überholt, und dann war das so ein schöner Ausgleich. Es gibt hier keine Sieger und keine Verlierer und es gibt hier keine Abgehängten. Es gibt aber sehr viele Leute, und das schätze ich auch, die sagen: können wir eigentlich das, was wir jetzt als Kirche sind, den Menschen, die etwas von uns als Kirche erwarten, können wir denen das zumuten, was wir sind? Und die sich sehr viele Gedanken darüber machen, ob sie mit ihrer Arbeit den Menschen gut tun. Und das ist ja auch zum Leitspruch unseres Kirchenkreises geworden: Wie in Gottesnamen können wir gut tun? Nicht Gutes tun. Gutes tun kann jeder.
Und gibt es, wenn Du auf diesen breiten Schatz zurückblickst, Dinge, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind, in diesem Prozess?
Also extrem in Erinnerung sind natürlich zwei Sachen. Das eine ist, das 2012 ja eigentlich ein Zeitpunkt war, ab es den Kirchenkreis eigentlich schon nicht mehr hätte geben dürfen. Von dem, wie sich die Landeskirche einen Kirchenkreis vorstellt. Das haben wir ab dem Punkt nicht mehr erfüllen können, weil wir einfach zu klein waren. Zu wenig Leute, aber auch zu klein im Handlungsfeld. Wir haben immer irgendwo nicht reingepasst. Wir waren zu kurz, zu klein, zu schmal. Und dann haben wir den Strukturanpassungsfonds im Grunde für die Landeskirche erfunden und haben die Landeskirche davon überzeugt, dass wir kein Geld von ihnen möchten, sondern eine Erlaubnis. Wir wollten etwas ausprobieren. Wir saßen im Landeskirchenamt und die haben gesagt, wie viel Geld brauchen Sie denn? Und da hat der KKV damals gesagt, wenn Sie uns mit Geld kommen, fahren wir wieder nach Hause. Wir wollen tun, was notwendig ist. Geld hilft uns nicht. Wir brauchen Ideen. Und genau das ist ein Schlüsselmoment gewesen, weil nachher fast alle Abteilungen der Landeskirche durch irgendwelche Vertreter mit uns zusammen saßen und sie sich von uns über 20 Projekte angehört haben, z.B. das Kirchenkreispfarramt, und die das gar nicht glauben konnten. Wir haben uns das Überleben seit 2012 bis heute schlicht und ergreifend verdient. Das ist eine Leistung aller dieser Mitglieder und Kirchengemeinden des Kirchenkreises. Auch nicht meine Leistung, sondern eine Leistung, die alle gemeinsam erbracht haben. Wir haben dafür gearbeitet. Und das hat, glaube ich, sehr viel Selbstbewusstsein gemacht.
Bei diesen Prozessen, die ja nicht alle einfach gewesen sind und ja auch teilweise konfliktiv gelaufen sind, wer oder was hat Dich dabei getragen, das über die Jahre und bis zum Ende der jeweiligen Prozesse durchzuziehen?
Alle. Also die Menschen, die hier sind. Und mich hat getragen, dass wenn man hier twas ausprobiert und wenn es dann in die Hose geht, dann machen wir was anderes. Da ist eine Menge Selbstkompetenz da. Man könnte auch sagen, ich könnte gehen, die brauchen mich gar nicht mehr.
Trotzdem gucken ja viele mit Sorge, oder doch zumindest mit Gespanntheit auf den Fusionsprozess, der jetzt ansteht. Und was bedeutet das für den Alltag vor Ort? Sowohl für die Menschen, die hier arbeiten im Kirchenkreis, aber auch für die Kirchenmitglieder generell?
Was denkst Du, sollte aus deiner Sicht auf jeden Fall erhalten bleiben? Und wo siehst Du Chancen in dieser Veränderung?
Wenn wir eine Stärke hatten, dann war das immer, dass wir sowohl im kollegialen Bereich als auch in den Kirchengemeinden eine große Lust hatten, die anderen zu entdecken. Also die Kirchengemeinden, die früher mal nur für sich getagt haben, haben dann gesagt, wir machen was zusammen, Freizeiten z.B., da überlegen wir uns was. Und das ist cool, weil dann schwimmen wir nicht in der eigenen Suppe. Ganz ehrlich, ein Zusammenführen von Kirchenkreisen kann nichts anderes sein, als dass man sich auf die anderen freut und mit großer Entdeckerlust losgeht. Wie machen die das? Was nehmen die von uns mit? Was nehmen wir von denen mit und was entsteht dazwischen neu? Ich sehe da keinen Unterschied. Es ist nur größer, die Wege sind weiter, aber ganz ehrlich, früher haben wir in bestimmten Regionen unseres Kirchenkreises auch gesagt, die Leute gehen niemals in eine andere Kirche, niemals, die werden niemals fahren und was erleben wir heute? Wir haben Gesamtkirchengemeinden, die machen Gottesdienst auf einer relativ großen Fläche und die Leute kommen und die Frage ist nicht wo, sondern was da passiert.
Und welche Schritte sind jetzt konkret notwendig, damit Gemeinden, Teams und vor allem auch Ehrenamtliche gut durch diesen Prozess dieser Transformation kommen, gerade wenn noch nicht alles feststeht, aber jetzt was getan werden muss?
Rund wird das erst, wenn wir anfangen uns zu begegnen und diese Begegnung wird wichtig sein. Diese Begegnung wird genau das sein, was auch den Erfolg der Kirchenkreisfusion zwischen Dannenberg und Lüchow bestimmt hat, aber es wird trotzdem ganz anders sein. Wir müssen uns Gedanken machen, wie viel Vertrauen wir übergeben an andere und selber von anderen bekommen, weil man diese Distanzen nicht Autos überwindet, sondern mit Vertrauen. Wenn es ein gemeinsames Leitungsgremium gibt, zum Beispiel dann macht es keinen Sinn, dass man sich im Umkreis von 140 Kilometern für drei Stunden trifft. Da braucht es ein gewisses Vertrauen: was wird da entschieden, was wird vor Ort entschieden.
Wir müssen weiterhin genug bieten, damit Menschen, die hier Kirche erwarten, sich hier auch identifizieren können. Man identifiziert sich ja immer mit der Beziehung, die man hat, und diese Beziehung zu etablieren ist die Aufgabe aller drei Kirchenkreise.
Wenn Du diese Fusion mit einem Bild beschreiben müsstest, was für ein Bild würde dir da einfallen? Eher sowas wie Brücken bauen im klassischen Sinne oder zwei Nachbarn, die den Garten zusammenlegen oder noch was ganz anderes?
Das erste, was mir einfällt, ist, dass wir uns auf die Wanderschaft vorbereiten. Das heißt, dass wir uns nicht mit Hausschuhen irgendwo hinsetzen, sondern dass wir die Wanderstiefel anziehen und aufeinander zugehen. Mit leichtem Gepäck. Nicht mit den Lasten, die wir haben. Den Rucksack, den wir tragen, den müssen wir vorher ausschütten. Das ist das Bild, das ich habe.
Ich glaube, wir sind ein wandernes Gottesvolk und nichts von dem, was wir haben, bringt uns dem Himmel näher. Alles, was wir loslassen, führt auf den direkten Weg dahin.
Und wo finden Menschen auf dieser Wanderung verlässliche Ansprechpartner:innen, wenn Du weg bist?
Also, nach meiner Kenntnis ist es so, dass, wenn ein Propst geht, die Welt nicht stillsteht und auch nicht das Gemeindeleben und auch das Leben eines Kirchenkreises plötzlich zu Ende ist. Hier ist es so, es gibt eine Stellvertreterin und einen Stellvertreter und es gibt eine Stellvertreterin im Kirchenkreisvorstand, die die Arbeit weiter fortführen. Und dieser Fusionsprozess ist ein bisschen wie ein roter Faden, sodass man jetzt auch nicht vor sich hin dümpelt. Und das Schöne an dieser Fusion ist, dass wir uns doch freundlich begegnen, natürlich manchmal mit Skepsis und natürlich ist jeder Kirchenkreis der beste und man verliert natürlich angeblich alles, was wunderbar ist. Aber im Endeffekt merkt man, dass es ein großes Zutrauen untereinander gibt und von daher habe ich jetzt keine Sorge, dass sich schon gar nicht durch meinen Wettgang irgendwas verschlimmert, ich hoffe eher, dass durch meinen Wettgang sozusagen ein Platz frei wird, in dem andere gestalten können.
Du sagtest ja, dass Lüchow-Dannenberg in der Landeskirche schon auch immer so einen etwas speziellen Ruf hat – was würdest du sagen, wären Dinge, auf die man achten könnte, die den Einstieg und die Arbeit hier leichter machen würden, wenn jemand Neues hier anfängt?
Ich finde das Allerallerwichtigste dabei, das wirklich Wichtige, damit alles gut wird, ist, dass ich meine Klappe halte. Und mich darauf verlasse, worauf ich mich auch verlassen musste, als ich gekommen bin: Dass die Leute sagen, wir gehen mit dem, der da neu kommt, den Weg und wir sind gegenseitige Lebensbegleiter. Und letztlich ist der Superintendent oder die Pröbstin ein Hirte, der hinter der Herde läuft und nicht vorne weg.
Du bist ja auch passionierter Musiker auf vielen Ebenen. Wenn Du jetzt an diesen Wechsel und die Veränderung denkst: was für ein Song (außer „The times they are a’changing“) würde dir da in den Kopf kommen, der diesen Prozess besingt?
(Überlegt einen Moment) Zwei: Ein alter Jazz-Standard Birds Flying High heißt der: „It’s a new dawn. It’s a new day. It’s a new world. For me, I’m feeling good.“ Das ist ganz wichtig. Dazu gehört Unterschiedliches: Sich zu begeistern für etwas, was endet, sich aber aufgehoben zu fühlen und auch Ruhe darin zu haben. In einer Textstelle heißt das dann zum Beispiel: „Rest in peace when the day is done.“ Also auch mit etwas fertig zu werden. Rest in peace heißt nicht gestorben zu sein, sondern auch seine Ruhe zu finden.
Und das andere, was mir seit schon mehreren Jahren nicht aus dem Kopf geht, ist ein italienischer Standard, der heißt Resto Preciso Momento. Und da verlässt jemand eine Frau, die er sehr liebt, weil die Frau hat einen anderen gefunden und er macht es möglich, dass sie ihrer Liebe folgen kann. Und da gibt es dann den Refrain: Ich kenne einen Ausweg, damit du bleiben kannst und ich gehen kann. Und es ist meine Aufgabe, den richtigen Weg dazu zu finden. Und dann in diesem besonderen Moment sage ich dann nur „perdur te“ – „Ich verliere dich“ und gehe.
Dann hoffen wir mal, dass Du uns nicht ganz verlierst, aus den Augen und Gedanken und im Herzen.
Nein, sowieso nicht. Aber wenn ich hier als Propst in Rente gegangen wäre, hätte ich ein richtiges Problem gehabt, weil ich die Auffassung habe, wenn jemand eine Funktion hatte an einem Ort, wo er auch gelebt hat, und er hat die Funktion nicht mehr, dann muss er auch woanders leben, weil sonst bleibt er der Entwicklung im Weg. Man bleibt immer der Propst und keiner weiß, von wem man jetzt da redet.
Aber meine Frau hat ja jetzt hier einen Dauerwohnsitz, sozusagen, und vielleicht will ich irgendwann wieder zurückkommen. Und dann komme ich als jemand anderes. Und dann komme ich hier als Mensch unter Menschen und das ist doch ein schönes Geschenk, oder?
Ja, auf jeden Fall! Dank‘ Dir für das Gespräch.
Gerne!
Das Gespräch mit dem Propst führte Frederik Holst
